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Im Lerchenwald

"Je älter ich werde, umso mehr erscheint mir
mein Lebensgebäude hell erleuchtet,
aber es ist leer, nur in einem Raum steht
ein kleiner Karton mit Erkenntnis.
Er bleibt dort, bis die neuen Mieter einziehen."

Diese Zeilen sind der Aphorismensammlung vorangestellt und deuten bereits darauf hin, dass die einzelnen vielfältigen Verse und Gedanken die Gesamtheit eines ereignisreichen Lebens widerzuspiegeln suchen.
"Das Leben ist ein Abenteuer, denn niemand weiß, wie es ausgeht."

Neue Frankfurter Schule

Neue Frankfurter Schule

Ralph Zade

Den Unterschied zwischen der Frankfurter Schule und der Neuen Frankfurter Schule, NFS abgekürzt, beschrieb Eckhard Henscheid, Mitglied der NFS und Autor des Kultromans „Die Vollidioten“ so: „(...) es [handelte] sich bei der alten Frankfurter Schule um ostentativ seriöse und meist professorale Herrschaften schwergewichtigen Gehalts; indessen die NFS eher mit dem Leichten, Spielerischen, Komischen und nicht partout Wissenschaftlichen zu tun hat.“

Die Bezeichnung „Neue Frankfurter Schule“ ist jünger als die Neue Frankfurter Schule selbst, sie stammt nämlich aus dem Jahre 1981, als für eine gemeinsame Ausstellung von Karikaturen dreier ihrer Mitglieder – Robert Gernhardt, Hans Traxler, F. K. Waechter – ein Titel benötigt wurde. Ob es eine originäre Beziehung zwischen dem Namen der Gruppe von Satirikern und Karikaturisten und der mit der Kritischen Theorie verbundenen Gruppe von Philosophen und Wissenschaftlern gibt, ist nicht eindeutig. Auch wenn die Bezeichnung ursprünglich wohl eher den Frankfurt-Bezug herausstellen als einen echten Bezug zur Frankfurter Schule Horkheimers und Adornos insinuieren sollte, gibt es doch, da die NFS nun einmal so hieß, zahlreiche satirische Anspielungen von NFS-Mitgliedern auf dieselbe, so den Buchtitel „Es gibt kein richtiges Leben im valschen“ von Robert Gernhardt und die Anekdotensammlung „Wie Max Horkheimer einmal sogar Adorno hereinlegte“ von Eckhard Henscheid, der überdies in den „Vollidioten“ eine Figur namens Max Horkheimer auftreten ließ. Auch die Feststellung F. W. Bernsteins „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche." lässt Adorno und damit die Kritische Theorie durchschimmern. Eines ist ohnehin klar: Die Neue Frankfurter Schule ist wie die Frankfurter Schule gesellschaftskritisch und das von einem potentiell linken Standpunkt aus. Es gilt freilich auch der Satz Robert Gernhardts „Je bewußter dem Satiriker ist, daß der Erkenntnisgewinn seiner Satire zu wünschen übrigläßt, desto dringlicher sieht er sich vor die Aufgabe gestellt, wenigstens den Unterhaltungswert seiner Arbeit zu steigern.“ („Letzte Ölung“, Zürich 1984 S. 443). Und der Unterhaltungswert der NFS ist beträchtlich, das wusste schon der Komiker Otto Waalkes, der in seinen Filmen u. a. Texte von Gernhardt und von Bernd Eilert verwendete.

Entstanden ist die NFS, damals noch ohne ihren Namen, in den 60er Jahren im Umfeld der Satirezeitschrift „Pardon“, zu deren Gründungsredaktion drei Mitglieder, F. W. Bernstein, Robert Gernhardt und F. K. Waechter, zählten. Den Geist dieser Zeit beschrieb Hans Traxler später so: „In den sechziger Jahren, unseren

Anfangsjahren, hieß Humor noch Satire. Die Komik war außerordentlich schwach entwickelt. Dafür gab’s etwas, das nannte sich Gesellschaft, und die erwartete etwas von einem Zeichner. Glaubten wir jedenfalls. Und das war bestimmt keine Komik, sondern beinharte Aufklärung und Engagement!“ (Gespräch von Bernd Pfarr mit Hans Traxler und Volker Reiche, abgedruckt in Bernd Pfarr, „Komische Bilder“, Frankfurt 1996, S. 215 ff.)

Die nächste Stufe der Entwicklung der Gruppe war mit der Gründung der Zeitschrift Titanic – noch heute eine der auflagenstärksten Satirezeitschriften – im Jahre 1979 verbunden. Oliver Maria Schmitt sagte dazu 2009 in einer Fernsehsendung: „Titanic war eine Zeitschriftengründung nicht von Presseleuten, nicht von Journalisten, sondern von Künstlern, von Zeichnern, von Cartoonisten, von Dichtern, von Literaten. Daher ist immer auch in der dunkelsten Satire noch etwas Künstlerisches, noch etwas über den Tag hinaus Lebendes.“ In diesem Rahmen konnte man sich verwirklichen. Viele Kreationen, wie die Karikaturenserie „Birne will Kanzler werden“ von Hans Traxler in den 80er Jahren, gingen in die Populärkultur ein. Traxler schuf auch das Maskottchen der NFS, als er Bernsteins Satz von den „Kritikern der Elche“ illustrierte. Provokativ und kontrovers blieb der Humor immer, wie der als Motto verwendete Satz „Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag.“, der Chlodwig Poth zugeschrieben wird und die Einheitsrhetorik der Bild-Zeitung persiflieren sollte.

Inzwischen ist eine Reihe von Gruppenmitgliedern verstorben: Chlodwig Poth 2004, F. K. Waechter 2005, Robert Gernhardt, der einer großen Öffentlichkeit vielleicht am bekanntesten geworden ist, 2006. Doch sie haben eine Generation von Nachfolgern inspiriert, wie Max Goldt, Gerhard Henschel, Thomas Gsella oder Ernst Kahl, die ebenfalls im Umfeld der Titanic arbeiten und den Geist der NFS fortführen.

Mittlerweile hat die Neue Frankfurter Schule – eigentlich so unklassisch wie man nur sein kann – Klassikerstatus erreicht. Das zeigt sich nicht nur darin, dass in Frankfurt-Bornheim eine Kneipe namens „Henscheid“ nach dem der Gruppe angehörenden Verfasser der „Trilogie des laufenden Schwachsinns“ benannt ist. Darüber hinaus kaufte die Stadt Frankfurt 2006 7000 Zeichnungen von F. W. Bernstein, Robert Gernhardt, Chlodwig Poth und Hans Traxler, die heute im Museum für komische Kunst – Caricatura Museum Frankfurt zu sehen sind und über die Stadt hinaus einen Anziehungspunkt bilden.


Literatur (Webseiten zuletzt abgerufen am 22.12.2016)

Interview mit Eckhard Henscheid (Eingangszitat auf S. 1):

http://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/53403327/FoFra_2014_2_Wissenschaftler_Interview_mit_Eckhard_Henscheid.pdf

Robert Gernhardt: „Letzte Ölung“, Zürich 1984

Bernd Pfarr: „Komische Bilder“, Frankfurt 1996

Oliver Maria Schmitt: „Die schärfsten Kritiker der Elche. Die Neue Frankfurter Schule in Wort und Strich und Bild“, Berlin 2001

Schmitt-Zitat zur Titanic-Gründung nach Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Titanic_(Magazin)

Klaus Cäsar Zehrer, „Dialektik der Satire, Zur Komik von Robert Gernhardt und der „Neuen Frankfurter Schule““, online abrufbar unter

http://elib.suub.uni-bremen.de/diss/docs/E-Diss259_zehrer.pdf

Zeichner der NFS im Caricatura-Museum:

http://caricatura-museum.de/die-zeichner-der-neuen-frankfurter-schule.html

Bildquelle:

„Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche“ Bronzeplastik von Hans Traxler vor dem Museum für komische Kunst Urheber: Eva K. - Eva K. via Wikimedia Commons GFDL 1.2

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