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Museum Judengasse

Museum Judengasse

Ralph Zade

„Die Frankfurter haben die Erinnerung an ihre alte jüdische Gemeinde mit einer Brutalität ausgelöscht, die kaum ihresgleichen findet.“ stellte Walter Boehlich in der ZEIT vom 10.7.1987 fest. 1987 – das Jahr, in dem am Börneplatz ein neues Stadtwerkezentrum erbaut werden sollte – war das Jahr, in dem das ins Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit geriet. Die Judengasse – seit 1462 das älteste Ghetto Europas (Venedig hat zwar die Bezeichnung „Ghetto“ geprägt, die obligatorische Wohnungszuweisung der Juden erfolgte dort aber erst 1516) – war in den 60er bis 80er Jahren des 19. Jahrhunderts abgerissen worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute man am selben Ort die Kurt-Schumacher-Straße und zerstörte damit sogar den historischen Straßenverlauf – die mehrspurige Straße läuft schräg über die Judengasse. Das Bauvorhaben, bei dessen Ausführung nun Überreste der Gasse – darunter mit als Erstes eine Mikwe, ein jüdisches Tauchbad – wieder zum Vorschein kamen, und dessen Realisierung nach den ursprünglichen Bauplänen ein endgültiges Begraben dieses so wichtigen Teils der Frankfurter Geschichte bedeutet hätte, ging vom Moment des Bekanntwerdens dieser Entdeckung an allerdings nicht mehr reibungslos vonstatten. Es schloss sich der sogenannte Börneplatz-Konflikt an, in dem Frankfurter Bürger massiv gegen den Umgang mit den Überresten protestierten, bis hin zu einer Blockade, bei der sich Demonstranten am Ende von der Polizei wegtragen ließen.

Das Museum Judengasse am Börneplatz
Das Museum Judengasse am Börneplatz

Die Proteste führten zumindest zu einem Teilerfolg und zu einer Lösung, die 1992 in die Eröffnung des Museums Judengasse unten im Stadtwerkezentrum mündete. Teil desselben sind 5 von den 19 entdeckten Hausfundamenten, die im Keller des Verwaltungsgebäudes wieder aufgebaut wurden. Dem war im November 1988 die Eröffnung des Jüdischen Museums im Rothschild-Palais am Untermainkai vorausgegangen, als erstem Jüdisches Museum in Nachkriegsdeutschland, dessen Dependance das Museum Judengasse nun wurde.

Einzigartig ist das Museum Judengasse vor allem deshalb, weil es vor Ort, teils in den Fundamenten der historischen Häuser, das Ghetto vergegenwärtigt, das hier von 1462 bis 1796 in der parallel zur östlichen Stadtmauer gelegenen Gasse bestand. Dieses, in dem alle Juden unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen in teils druckvoller Enge zu leben hatten, bedeutete natürlich eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit, bot aber, da es unter kaiserlicher Protektion stand, gleichzeitig auch Schutz, was eine gewisse Attraktivität des Ortes bedeutete, da Juden andernorts nicht nur mit Auflagen belegt, sondern verfolgt und im Lande nicht geduldet wurden. Über die aus heutiger Sicht unerträgliche Diskriminierung jüdischer Bürger – die keine waren, denn das vollgültige Bürgerrecht konnten Juden in Frankfurt erst 1864 erwerben – vermag das freilich nicht hinwegzutäuschen.

Über Jahrhunderte bildete das Ghetto einen lebendigen Ort jüdischer Kultur und nicht wenige Familien waren hier über Generationen ansässig. Das wohl berühmteste Kind des Ghettos war der 1786 hier geborene Löb Baruch, der sich später in Frankfurt-Rödelheim taufen ließ und unter seinem christlichen Namen Ludwig Börne als Schriftsteller berühmt wurde. Von Börne stammen auch einige lebendige Beschreibungen der Judengasse. Wichtig ist der Ort überdies wegen der unmittelbar in der Nähe gelegenen Jüdischen Friedhofs, auf dem Frankfurter Juden seit dem Mittelalter über Jahrhunderte begraben wurden – ein großer Teil der Grabsteine fiel der Verwüstung durch die Nazis zum Opfer, ebenso wie die Jahrzehnte nach der Aufhebung des Ghettos in unmittelbarer Nähe des heutigen Museums 1882 erbaute Synagoge. Zu beidem finden sich Ausstellungsobjekte im Museum. An der ehemaligen Großmarkthalle bei der nicht weit entfernten Europäischen Zentralbank wurde außerdem eine Gedenkstätte für die deportierten und ermordeten Frankfurter Juden eingerichtet

Am 20.3.2016 eröffnete das Museum Judengasse nach einer längeren Umbauschließung neu. In einer mit dem Museum im Rothschild-Palais, das 2015 bis 2018 zur Gestaltung einer neuen Präsentation geschlossen ist, abgestimmten Aufteilung liegt der Schwerpunkt der Ausstellung auf der Frankfurter jüdischen Geschichte vom Mittelalter bis zur Judenemanzipation Anfang des 19. Jahrhunderts, während im Rothschild-Palais in Zukunft die Geschichte der letzten 200 Jahre gezeigt wird.

Die Präsentation, die durch die Integration der Hausfundamente und zweier Mikwen eine Aura von Authentizität erhält, wurde nach neuesten museumspädagogischen Erkenntnissen gestaltet und umfasst auch interaktive Stationen. Die Ausstellung ist in 12 Abschnitte gegliedert. Sie beginnt mit einem Raum, in dem durch Fotos und mittels eines Films die Umgestaltung der Örtlichkeit in den Blick genommen und auch der Konflikt von 1987 thematisiert wird. Es folgt eine Multimedia-Installation, die als Einstieg in die weitere Ausstellung die Geschichte der Judengasse darstellt.

Weitere Abschnitte befinden sich im Hauptausstellungsraum. Hier wird zunächst das Verhältnis von Juden und Christen anhand ausgewählter Gegenstände beleuchtet. Danach werden Buchillustrationen und bildliche Darstellungen an Ritualobjekten gezeigt; eine weitere Station widmet sich dem benachbarten Friedhof – zu ausgewählten Grabsteinen kann man vertiefte Informationen nachlesen. Weitere Ausstellungsabschnitte zeigen Objekte zu Berufen in der Judengasse und zu Hauszeichen – um sie zu sehen überquert man die Ausgrabungen auf einem Steg. An einer Hörstation kann man sich Geschichten zu verschiedenen Häusern in der Gasse anhören. Ein weiterer Teil der Ausstellung hat das Verhältnis der Juden zu Kaiser und Stadtrat zum Gegenstand. Ein historischer Stadtplan mit Hörelementen ermöglicht es, sich in Form von Spaziergängen mit jüdischen Reminiszenzen in Frankfurt zu beschäftigen. Die Ausgrabungen – teilweise wurden Hauselemente in Modellform rekonstruiert – stellen dann den Höhepunkt des Besuches dar. Hier kann man bei Interesse vertiefte Informationen über die fünf Häuser nachlesen, von denen zwei besonders prächtig waren. Im hinteren Teil des Museums gibt es dann zum Abschluss noch Informationen zu Literatur und Musik in der Judengasse. Bildung wurde im Ghetto groß geschrieben – Jungen gingen bis zum 13. Lebensjahr zur Schule, was in der frühen Neuzeit außergewöhnlich war, Mädchen erhielten Hausunterricht.

Die Diagnose von 1987, dass Frankfurt die Erinnerung an die jüdische Gemeinde ausgelöscht habe, kann man angesichts dieses Museums heute nicht mehr aufrechterhalten. Auch wenn man sich fragen mag, was noch alles unter der Kurt-Schumacher-Straße verborgen liegt.


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Literaturquellen:

Backhaus,Fritz; Gross, Raphael ; Kößling,Sabine: Die Frankfurter Judengasse. Geschichte, Politik, Kultur, : Mirjam Wenzel (Hrsg.), München: C.H. Beck, 2016

Boehlich,Walter: Das Loch von Frankfurt in: Die ZEIT, 10.7.1987,abgerufen von < http://www.zeit.de/1987/29/das-loch-von-frankfurt > am 25.02.2017

Webauftritt des Museums Judengasse:abgerufen von < http://www.museumjudengasse.de/de/home/ > am 25.02.2017


Bildquellen:

Fotos von Carolin Eberhardt, 2021.


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Kurt-Schumacher-Straße 10
60311 Frankfurt am Main

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