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Von Evchensruh nach Adams Hoffnung

Die sechs Erzählungen sind das Kaleidoskop eines Lebens: von der erinnerten Kindheit, die immer märchenhafte Züge trägt, über die verspielten Dinge der Jugend bis hin zu den harten Auseinandersetzungen im Erwachsenen-Dasein. Das Verschwinden von Glauben und Vertrauen, das Verzweifeln an der Welt, diese metaphorische Obdachlosigkeit (Safranski), sind Teil davon.

Johann Friedrich Böhmer

Johann Friedrich Böhmer

Sabine Gruber

Wenn Clemens Brentano einen Eckermann gehabt hätte, wäre es vermutlich Johann Friedrich Böhmer gewesen, denn Böhmer, der Brentano 1823 kennenlernte, kümmerte sich schon zu Lebzeiten des Autors darum, dessen literarische Werke zu ordnen und hielt Äußerungen Brentanos und Anekdoten, die über ihn kursierten, schriftlich fest. Nach dessen Tod sorgte er mit dafür, dass sein Freund nicht in Vergessenheit geriet.

Johann Friedrich Böhmer wurde am 22. April 1795 in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater, Karl Ludwig Böhmer, war nach einem Jurastudium zunächst rheingräflicher Hofrat gewesen, flüchtete jedoch vor den Franzosen nach Frankfurt und wurde dort Kanzleidirektor. Böhmer wuchs in der besten Frankfurter Gegend, nur wenige Meter vom Goethehaus entfernt, am Großen Hirschgraben auf. Seine strengen Eltern erlaubten nur selten, dass ihr Sohn das Haus verließ. So kam es, dass er erstmals mit zwölf Jahren die Stadtgrenze von Frankfurt überschritt. In seinem Tagebuch berichtete er über den Ausflug, den er am 13. Februar 1807 unternahm, und der ihm wohl selbst etwas unheimlich war: "Zum erstenmal zum Thor der Stadt Frankfurt a. M. hinaus, es war das Galgenthor an einem Freitag". Was Böhmer in seiner Jugend vermisste, holte er als Erwachsener in Form von Reisen nach.

Nach dem Besuch des Städtischen Gymnasiums war Böhmer für zwei Jahre Schüler des vom Fürstprimas Dalberg 1812 neu geschaffenen (und sehr kurzlebigen) „Lyceum Carolinum“, dessen Besuch für alle Frankfurter, die eine Universität besuchen wollten, für zwei Jahre verpflichtend war. Auf Wunsch seiner Familie studierte Böhmer seit 1813 wie sein Vater Rechtswissenschaften, zunächst in Heidelberg und seit 1814 in Göttingen. Anders als sein Vater es sich vorgestellt hatte, besuchte er jedoch auch Vorlesungen anderer Fakultäten, für die er sich mehr als für sein eigentliches Studienfach interessierte. "Ich halte das Rechtsstudium für das geistloseste von allen", schrieb er an seinen Vater, und "Ein Jurist von Profession werde ich nie." Obwohl Böhmer von dem Studienfach, das sein Vater für ihn ausgewählt hatte, nicht überzeugt war, beendete er 1817 erfolgreich sein Studium als Doktor beider Rechte.

Im gleichen Jahr starb sein Vater und damit musste Böhmer als ältester Sohn mit 22 Jahren stellvertretend für seine jüngeren Geschwister die Vaterpflichten übernehmen. 1818 unternahm er auf Anraten eines Göttinger Studienfreundes seine erste große Reise, nach Italien. Eine für viele junge Männer übliche Reise, die jedoch nicht unbedingt im Sinne von Böhmers Vater gewesen wäre. In Rom traf er die nazarenischen Maler, die sich dort angesiedelt hatten, vor allem seinen Frankfurter Landsmann Johann David Passavant. Er verkehrte im berühmten Café "Greco" an der spanischen Treppe und im Café "Sabina", wo auch Schopenhauer zu den Gästen zählte, und widmete sich intensiv der Besichtigung von Kunstausstellungen und antiken Altertümern.

Ehrengrab von Johann Friedrich Böhmer
Ehrengrab von Johann Friedrich Böhmer

1822 wurde Böhmer an mehreren Bibliotheken seiner Heimatstadt angestellt und noch im gleichen Jahr Mitadministrator des Städelschen Kunstinstitutes. 1823 wurde er dank einer Bekanntschaft mit dem Freiherrn von Stein in die Generaldirektion der "Monumenta Germaniae Historia" berufen. Schon im folgenden Jahr übernahm er gemeinsam mit Georg Heinrich Pertz deren Leitung. Auf seine Initiative geht die Edition der "Regesta Imperii" zurück. 1823 kam es auch zur folgenreichen Begegnung Böhmers mit Clemens Brentano. Obwohl Brentano sich gegenüber Böhmer zunächst abweisend verhielt, beendete er überraschend das Gespräch mit dem Hinweis: "Morgen besuche ich Sie. Bei Ihnen scheint alles im Kopf und in der Arbeit so pünktlich in Ordnung, dass ein Verschlamper wie ich seine Freude daran haben muß. Sie sind wirklich einer der liebenswürdigsten Philister, die mir je vorgekommen." Anders als Brentano ging Böhmer tatsächlich zeitlebens geregelter Arbeit nach, wenn er auch – wie er es seinem Vater angekündigt hatte, nie als Jurist arbeitete. 1825 wurde Böhmer Verwalter des Stadtarchivs seiner Heimatstadt und von 1830 bis zu seiner Pensionierung 1862 war er erster Stadtbibliothekar.

Zeit seines Lebens hing Böhmer politisch wie wissenschaftlich am Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, dessen Untergang er 1806 als Kind miterlebt hatte. Neuen politischen Entwicklungen, vor allem dem Erstarken Preußens, begegnete er mit Skepsis. Mit seinem siebzehn Jahre älteren Freund Clemens Brentano diskutierte er häufig über religiöse Themen und offenbarte dabei eine große Sympathie für die katholische Kirche. Im Gegensatz zu anderen Zeitgenossen aus dem Umfeld Brentanos wurde er selbst aber nie katholisch. Ein überzeugter Protestant war er, schon weil die Reformation seiner Meinung nach das deutsche Reich gespalten hatte, aber auch nicht. Neben zahlreichen mittelalterlichen Urkunden veröffentlichte Böhmer 1836 auch ein Urkundenbuch der Reichsstadt Frankfurt. Seine Tätigkeit als Historiker, Archivar und Bibliothekar ließ Böhmer noch genügend Zeit, sich wie in seiner Jugend mit Kunst und Literatur zu beschäftigen. Er schrieb auch selbst Gedichte.

Am 22. Oktober 1863 starb Böhmer in seiner Heimatstadt Frankfurt. Neben seinen Publikationen erinnern heute sein Grab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof und die Böhmerstraße, die im Frankfurter Stadtteil Westend zwischen dem Grüneburgweg und der Hansallee verläuft, an den Historiker, der zwar dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation nachtrauerte, über alle politischen Veränderungen hinweg aber überzeugter Frankfurter blieb. Er selbst schrieb dazu: "Alt-Frankfurt war gleichsam meine erste Liebe"



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Textquellen

Erwin Kleinstück: Johann Friedrich Böhmer. Frankfurt a. M. 1959

Gottfried Opitz: Böhmer, Johann Friedrich. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 2. Berlin 1955, S. 393f.

Wilhelm Wattenbach: Böhmer, Johann Friedrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 3. München/Leipzig 1876, S. 76-78.


Bildquellen: Von Amélie de Barrelier, Munich - Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=56... Von Amélie de Barrelier, Munich - Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=56...

Ehrengrab von Johann Friedrich Böhmer Von Karsten Ratzke - Eigenes Werk, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45...

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