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Berndt Seite

Augentrost

In den vielen Werkstätten des Anthropozän zieht Berndt Seite an den Fäden des Moments und befragt mit ihnen den längst abhanden geratenen Sinn des Lebens.

Friedrich Stoltze

Friedrich Stoltze

Ralph Zade

Friedrich Stoltze's Geburtshaus.
Friedrich Stoltze's Geburtshaus.

„Immer wenn ich hier war, spürte ich beides: Weite einer Weltgesinnung und Nähe eines Heimatgefühls, Goethe und Friedrich Stoltze.“, stellte Bundespräsident Theodor Heuss 1959 bei einer Rede in der Paulskirche fest. Heimatgefühl hatte Friedrich Stoltze zweifellos – er war Frankfurt lebensgeschichtlich auf das Engste verbunden, hat das in seinen Dichtungen immer wieder zum Ausdruck gebracht – und er hat auch das Heimatgefühl von Generationen von Frankfurtern gestärkt, die sich in den Werken des größten Dialektdichters, den die Stadt hervorgebracht hat, liebevoll karikiert wiederfanden. Ein Gegensatz zu einer weiten Weltgesinnung war das aber nicht, denn Friedrich Stoltze (1816-1891) war viel mehr als nur ein humoristischer Poet von Gemüt. Als kritischer Journalist, der oft genug den Frankfurter Dialekt verwendete, um Dinge auszudrücken, die auf Hochdeutsch die Zensur nicht passiert hätten, als überzeugter Demokrat und als Bismarck-Gegner, der für die Äußerung seiner Auffassungen häufig Schwierigkeiten mit der Justiz in Kauf nahm, hat er Werte vertreten, die zum größten Teil auch heute noch überzeugend wirken. Insofern steht er Goethe zumindest an Humanität in nichts nach.

Geboren wurde Friedrich Philipp Stoltze am 21. November 1816 in der Freien Stadt Frankfurt, die diesen Status gerade auf dem Wiener Kongress wiedergewonnen hatte, und zwar im Gasthaus zum Rebstock, das sein Vater als Wirt betrieb – das Haus wurde 1904 abgerissen, es befand sich beim heutigen Haus am Dom, also mitten im historischen Zentrum von Frankfurt. Getauft wurde er in der heute noch existierenden Katharinenkirche, in der er später auch konfirmiert werden und heiraten sollte. Von den sieben Kindern seiner Eltern überlebten nur er und seine drei Jahre vor ihm geborene Schwester Annett, zu der er ein enges Verhältnis hatte, das Kleinkindalter. Mit Annett teilte er die freiheitliche demokratische Gesinnung. Wichtig war sie, die ihn zum Lesen animierte, aber auch für seine Dichterkarriere, denn in der Erzählung „Der rothe Schornsteinfeger“ bekannte er später: „Dass ich zu em Dichter bin warn, hat mei Schwester zu verantworte, ich wäsch' mei Händ in Unschuld.“

Nach der Konfirmation machte Stoltze auf Wunsch seines Vaters eine Kaufmannslehre, in deren Umfeld er Marianne von Willemer – unsterblich geworden als Goethes Suleika – kennenlernte, die er ansonsten aber eher lustlos hinter sich brachte. Auch der Versuch, sich bei dem berühmten Pädagogen Friedrich Fröbel – dem Erfinder des Kindergartens – in Thüringen zum Erzieher ausbilden zu lassen, trug nur wenige Früchte. Eine tragische Note erhielt dieser Versuch dadurch, dass Stoltzes erste Lebensgefährtin Christine Retting, mit der er ein nichteheliches Kind hatte – Carl Adolph Retting wurde später unter dem Namen Adolf Stoltze wie sein Vater Schriftsteller – während dieser Zeit verstarb, ohne dass er ihr hätte beistehen können. Es schloss sich ein Studienaufenthalt in Jena an, von dem er 1845 nach Frankfurt zurückkehrte, um dort als freier Schriftsteller zu leben, was ihm in der Anfangszeit nur mithilfe von humoristischen Gelegenheitsgedichten zu Feierlichkeiten von Kunden gelang. Immerhin traf er nun seine Frau fürs Leben, Marie Messenzehl, genannt Mary, die im Gegensatz zu ihm katholisch war, damals noch ein Problem, das er so kommentierte:

„(…)
Und weil Du Katholikin bist
und habe Dir gefallen,
So hat Dich nun der Antichrist,
Der Teufel in den Krallen.
(…)“

Eine weitere wichtige menschliche Begegnung ereignete sich im Umfeld der Revolution von 1848. 1849 dokumentierte Stoltze gemeinsam mit dem Maler und Zeichner Ernst Schalck in Wort und Bild die Situation der Revolutionäre in der Pfalz. Die Revolution war zu diesem Zeitpunkt schon am Ende, was beide desillusionierte, die Zusammenarbeit aber war fruchtbar und mündete 1852 in das erste wirklich erfolgreiche Projekt Stoltzes, die „Krebbelzeitung“ die er textete und die Schalck mit Karikaturen bebilderte. Der Name der im Frankfurter Dialekt geschriebenen Zeitung, in der viele bekannte Werke Stoltzes im Erstdruck erschienen, bezieht sich auf die Frankfurter Bezeichnung des als Fastnachtsgebäck verbreiteten Kreppels (d.h. Berliner Pfannkuchens), wobei der Name der in loser Folge erscheinenden Nummern variierte und sich durch humorvolle Untertitel auszeichnete. 1860 gründete Stoltze dann, wieder zusammen mit Schalck, der allerdings nach wenigen Jahren aussschied und dann früh starb, die Zeitung, mit der sein Name vor allem verbunden ist, und die als sein Hauptwerk gelten kann: die „Frankfurter Latern“, eine dem Berliner „Kladderadatsch“ verwandte Satirezeitschrift, die bis 1893 – also zwei Jahre über Stoltzes Tod hinaus – erscheinen sollte, allerdings nicht regelmäßig; sie wurde auch zwischendurch immer wieder einmal verboten. Lieblingsgegner Stoltzes, Gegenstand zahlreicher Karikaturen und ebenso vieler Textbeiträge war Bismarck – das umso mehr, weil Frankfurt 1866 infolge des Deutschen Krieges von Preußen annektiert wurde und damit seine Unabhängigkeit verlor, was auch zu einem fünfjährigen Verbot für die „Latern“ führte, auch wenn Stoltze selbst, der nach Süddeutschland geflohen war, schon nach drei Monaten nach Frankfurt zurückkehren konnte. Woanders hätte er auch kaum leben können, denn Frankfurt war sein Herzensort, was sich auch in seinen wohl berühmtesten Zeilen ausdrückt:

„Es is kää Stadt uff der weite Welt,
die so merr wie mei Frankfort gefällt.
Un es will merr net in mein Kopp enei:
Wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei!“

Es folgten weitere Zeitungsprojekte, die meisten waren kurzlebig. Wirklich zu Geld brachte es Stoltze trotz seines beträchtlichen Ruhmes und enormer Produktivität nie – auch der Kosten für seine elf Kinder mit Mary wegen, von denen ein Teil das Erwachsenenalter nicht erreichte.

In Frankfurt halten manche Stoltze für den größten Dichter nach Goethe – den er so gesehen hat:

„E hiesig Borjerskind, deß uff drey Dichter-Leyern
So Großes hett geleist, wie käähner mehr hernach
Den Soh von der „Frau Rath“ kann merr net scheener feiern,
Net sinniger, als wie in seiner Muttersprach.
(...)“

Also auf Frankfurterisch. Heute wird das Werk Stoltzes im nach ihm benannten Museum gewürdigt, das deutlich kleiner ist, als das Frankfurter Goethehaus – aber dennoch sehr sehenswert.

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Quellen:

Heuss-Zitat nach dem Artikel „Friedrich Stoltze“ im Frankfurter Personenlexikon: http://frankfurter-personenlexikon.de/node/1354

Stoltze-Zitate nach den am Ende des 19. Jahrhunderts im Heinrich-Keller-Verlag, Frankfurt am Main, in zahlreichen Auflagen erschienenen Gesammelten Werken in fünf Bänden; Zitat „Und weil Du Katholikin bist...“ aus der „Frankfurter Latern“ vom 26.8.1882.

Webseite zum Stoltze-Museum: http://www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=3796&_ffmpar[_id_inhalt]=102431 (Eine Verlegung des Museums ist für 2018 im Zusammenhang mit der Fertigstellung des neuen Dom-Römer-Quartiers geplant.)

Literatur:

Johannes Proelß: Friedrich Stoltze, Ein Bürger von Frankfurt, neu bearbeitet von Günther Vogt, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 1978

Petra Breitkreuz: Friedrich Stoltze, Dichter – Denker – Demokrat, Waldemar Kramer-Verlag, Frankfurt am Main 2016


Bildquellen:

Vorschaubild, Friedrich Stoltze (1816-1891), gemeinfrei

Friedrich Stoltze´s Geburtshaus von Carl Friedrich Fay (1853–1918), gemeinfrei

Bildunterschrift von Rudolf Krönke: Der größte Protagonist für Königstein sollte jedoch im Spätherbst 1859 in der Stadt zur Kur eintreffen: der Frankfurter Journalist, Mundartdichter und Herausgeber der "Krebbel-Zeitung" Friedrich Stoltze, gemeinfrei

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