Schwere Zeiten waren das in den Jahren 1870/1871. Zum Zeitpunkt der Entstehung der vorliegenden Briefe Wilhelm Buschs an seine Nichten Nanda und Letty Kessler vom 4. September war der Deutsch-Französische Krieg bereits seit zwei Monaten allgegenwärtig. Insbesondere die Stadt Frankfurt wurde im Zuge dessen stark militarisiert. Alle Lebensbereiche waren geprägt von preußischen Einflüssen, hatte doch der Verbündete Preußen mit seinen Truppen in der heutigen Mainmetropole Einzug erhalten. Gerade aus gegebenen Anlass versucht „der gute Onkel“ Busch seine Nichten auf die schönen gemeinsamen Erinnerungen zu lenken. Vorheriger Briefverkehr mit den Mädchen war nicht in der hier vorliegenden Reimform verfasst. Aufmunternde Worte, der typische Busch’sche Wortwitz, Wortspiele und das Gefühl, dass der besorgte Onkel stets bei Ihnen ist, können dem Brief entnommen werden.
Carolin Eberhardt.
Wiedensahl 14. September 1870
Nanda und Letty, meine Lieben!
Viel schönen Dank, dass ihr geschrieben!
Ich höre mit Zufriedenheit,
dass ihr noch alle munter seid
und habt seitdem und währenddessen
den Onkel Wilhelm nicht vergessen.
Der dahingegen, wie ihr wisst,
euch auch gar sehr gewogen ist.
Viel oftmals denk ich still erfreut
der letzten schönen Frühlingszeit,
wie da die Knospen aufgebrochen,
die Blumen aus der Erde krochen.
Den Pfirsich und den Apfelbaum
sah man vor lauter Blüten kaum.
Und freudig summt und brummt in ihnen
das leichtbeschwingte Volk der Bienen,
die, diesen Herbst vor allen Dingen,
dem Doktor süßen Honig bringen.
Wie schnell wuchs da im Gartenraum
Nanda ihr guter Birnenbaum.
Der wird nun wohl in diesen Tagen
Schon große, gelbe Birnen tragen.
Und auch die Bäumchen, welche heuer
ganz dicht am östlichen Gemäuer,
die Letty oft und unverdrossen
mit ihren Kännchen hat begossen,
die sind nun auch wohl schlank und schön
und können über die Mauer sehn.
Am schönsten aber – wisst ihr’s noch? –
Am allerschönsten war es doch,
wenn wir die schönen Nachmittag,
am Tische dort im Gartenweg,
den Maiwein in die Gläser gossen
und ihn dann still und unverdrossen
mit Freudigkeit hinunterschlürften –
wenn wir das nur bald wieder dürften!!
Doch das ist leider nun vorbei!
Vorüber ist der schöne Mai!
Längst hat der Sommer angefangen,
bald kommt der Herbst herangegangen:
Es weht der Wind, der Regen fällt,
und voll von Krieg ist nun die Welt.
Jaja! Das ist nicht angenehm!!
Indes trotz diesem und trotzdem
gedenk ich doch in dem Oktober
von meinem Vaterland Hannober
zurück in Frankfurt an dem Main –
Ihr Kinnercher! – bei euch zu sein.
Nun lebt recht wohl! Und grüßt mir ja
zuerst die gute Frau Mama.
Grüßt auch die brave Schwester Lina
und dann den Johann und die Mina,
und Bruder Hugo und den Harry.
Wenn ihr sie seht, grüßt auch die Mary!
Und – liebe Nanda, liebe Letty!
Vergesst mir‘s nicht – und grüßt die Betty!
Also adieu! – Es wird schon donkel,
drum schließt den Brief der gute Onkel!
Doch einmal wird noch eingetunkt –
Seht her! – jetzt kommt der große Punkt.
Euer stets getreuer Onkel Wilhelm
N. B. Eh ich’s vergesse! – sagt, wie schaut’s
denn aus mit der Familie Schnautz?
Sind Schlupp und Tapp und Pfiff noch immer zu Haus?
Oder sind sie schon in die weite, weite Welt hinaus?
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Bildquellen:
Vorschaubild: Jules Favre putting his seal on the Treaty of Frankfurt, 1906, Urheber: Cliche Manuel priz chez Falise via Wikimedia Commons Gemeinfrei.