Frankfurt ist eine Stadt der Mäzene und Mäzeninnen. Selbst in dieser an finanziellen Wohltäterinnen und Wohltätern nicht armen Stadt war es jedoch ungewöhnlich, wenn eine Mäzenin allein den Bau einer neuen Kirche finanzierte. Die großzügige Spenderin, die den Bau der in den Jahren 1899 und 1900 im Stil der Neogotik errichteten St. Antoniuskirche im Westend bezahlte, konnte sich als Angehörige des Hochadels diese Stiftung leisten, und sie wollte sie sich auch leisten, weil ihr der Bau einer katholischen Kirche in der Nähe ihres Witwensitzes ein wichtiges persönliches Anliegen war. Anna, Landgräfin von Hessen-Kassel, geborene Prinzessin von Preußen, hatte sich als Protestantin dem katholischen Glauben zugewandt, war aber erst 1901 nach dem Bau der von ihr gestifteten Kirche formal zum Katholizismus konvertiert.
Als Anna von Hessen im Jahr 1836 als Tochter des Prinzen Carl von Preußen (1801–1883), eines jüngeren Bruders des späteren preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), und seiner Frau Marie von Sachsen-Weimar-Eisenach (1808–1877) in Berlin geboren wurde, war nicht zu vermuten, dass sie mehrere Jahrzehnte später im weit entfernten Frankfurt am Main den Bau einer katholischen Kirche stiften würde. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in idyllischer Umgebung im Schloss Glienicke am Wannsee. Bereits mit 17 Jahren heiratete sie im Mai 1853 – für sie kamen nur Ehepartner in Frage, die ebenfalls regierenden Häusern angehörten – Friedrich Wilhelm von Hessen-Kassel (1820–1884), der wie sie reformierter Konfession war. 1858 malte der berühmte Porträtmaler Franz Xaver Winterhalter (1805–1873) die junge, etwas ernst blickende Landgräfin mit aufwändigem Perlenschmuck in einem verschwenderisch geschmückten, rosafarbenen Tüllkleid, das wegen seines weißen Schleiers fast wie ein Brautkleid wirkt. Ein Jugendbild zeigt sie als etwas verschmitzt blickendes junges Mädchen mit großen Schleifen im Haar.
Nach der Annexion Kurhessens durch Preußen in 1866 verlor Annas Mann die Aussicht, Kurfürst von Hessen-Kassel zu werden, und das noch junge Ehepaar konnte sich auf seine wachsende Familie, sie hatten sechs Kinder, und auf seine privaten Interessen konzentrieren. Nachdem sie zunächst zwischen mehreren Wohnsitzen hin- und hergewechselt waren, lebte Anna seit dem Jahr 1880 mit ihrem Mann überwiegend im Schloss Philippsruhe bei Hanau. Dort betätigte sie sich - wie es im 19. Jahrhundert vor allem zahlreiche Frauen aus dem gehobenen Bürgertum taten - als Salonnière und versammelte unter anderem berühmte Musiker und Musikerinnen wie die Komponistin und Pianistin Clara Schumann (1819-1896) und den Komponisten Johannes Brahms (1833-1897) um sich. Sie selbst war eine begabte Pianistin. Anna von Hessen führte ein glückliches, nie langweiliges Leben mit anregenden Persönlichkeiten in ihrer Umgebung. Umso stärker müssen sie die Schicksalsschläge getroffen haben, die sie während der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts erlitt: Ihre Tochter Marie-Polyxene starb 1882 mit nur zehn Jahren, zwei Jahre später starb ihr Mann, wieder zwei Jahre später ihr Schwiegersohn Leopold von Anhalt (geb. 1855) und 1888 verunglückte schließlich ihr ältester Sohn Friedrich Wilhelm (geb. 1854) tödlich.
Bedingt durch diese Schicksalsschläge beschäftigte sich Anna, die seit 1884 in einer, heute nicht mehr erhaltenen, Villa in der Savignystraße 25 im neu entstandenen Frankfurter Westend lebte, zunehmend mit religiösen Fragen und nahm schließlich katholischen Religionsunterricht bei Viktor Thielemann (1867-1844). Nachdem sie im Jahr 1901 offiziell katholisch geworden war, wurde sie aufgrund ihrer inkompatiblen Konfession aus dem Haus Preußen ausgestoßen. Anna von Hessen bewegte sich nun noch regelmäßiger als zuvor in katholischen Kreisen und betätigte sich dort als Mäzenin - die Stiftung der St. Antoniuskirche war nur eine von zahlreichen. 1902 erhielt sie eine Privataudienz bei Papst Leo XIII. (1810-1903).
Während die Angehörigen Anna von Hessens zum Teil im sehr jungen Alter gestorben waren, starb sie selbst erst 1918 im für damalige Verhältnisse sehr hohen Alter von 82 Jahren als damals ältestes Mitglied des Hauses Hohenzollern, dem sie allerdings nominell nicht mehr angehörte. Sie wurde in der von ihr gestifteten St. Antoniuskirche aufgebahrt und im Dom zu Fulda beigesetzt.
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Textquellen
Fischer, Roman: Anna, Landgräfin von Hessen, geb. Prinzessin von Preußen in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe) abgerufen von >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/11490< am 12.08.2022.
Frankfurt-Lexikon: Mit einem Stadtplan herausgegeben von Waldemar Kramer, Sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M., 1973.
Leinweber, Josef: Anna, Landgräfin von Hessen, Prinzessin von Preußen in: Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Aufl. Bd. 1. Freiburg i. Br. u. a. 1993, Sp. 691.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_von_Preu%C3%9Fen_(1836%E2%80%931918)< abgerufen am 12.08.2002.
>https://www.kulturring.org/konkret/frauen-persoenlichkeiten/index.php?frauen-persoenlichkeiten=strassennamen&id=40< abgerufen am 12.08.2022.
>https://www.lagis-hessen.de/pnd/1017964866< abgerufen am 12.08.2022.
Bildquellen
Vorschaubild: Anna of Prussia - Landgravine of Hesse, 1858, Urheber: Franz Xaver Winterhalter via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Antoniuskirche (Westend), 2012, Urheber: Daderot via Wikimedia Commons CC0.
Prinzessin Anna von Preußen in ihren frühen Jahren, 1836, Urheber unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Altersbild von Prinzessin Anna von Preußen, Landgräfin von Hessen, nach einem Pastellgemälde von Paul Beckert, 1916 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.