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Reden wir von der Liebe

Florian Russi (Hrsg.)

Liebe ist ein Thema, das jeden berührt...Ein manchmal ernüchterndes und zugleich poetisches Buch.

Fritz Bauer

Fritz Bauer

Ralph Zade

„Mit Furchtlosigkeit und Beharrungsvermögen, mit Kampfesmut und einer schier unerschöpflichen Ausdauer stellte Fritz Bauer sein Leben in den Dienst der Humanität“ (Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts). „Faszinierend ist, dass ein einziger Mensch durch seinen eisernen Willen und seine moralische Integrität die Gesellschaft dieses Landes dazu gebracht hat, sich ihrer Geschichte zu stellen“ (Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler, Publizist, ehemaliger Leiter des Fritz Bauer Instituts). „Fritz Bauer war meines Erachtens der bisher bedeutendste Generalstaatsanwalt der Bundesrepublik Deutschland“ (Erardo Cristoforo Rautenberg, Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg). „Fritz Bauer war einer der Helden der deutschen Justiz“ (Heiko Maas, Bundesjustizminister).

Der, dem diese lobenden Worte angesehener Personen gelten, hatte die deutsche Öffentlichkeit nicht immer auf seiner Seite. Im April 1933 wurde Fritz Bauer, der erst drei Jahre vorher in seiner Heimatstadt Stuttgart mit 27 Jahren zum jüngsten Amtsrichter Deutschlands ernannt worden war, aus dem Staatsdienst entlassen. Nachdem er einige Monate im KZ Heuberg inhaftiert war, gelang ihm 1936 die Flucht nach Dänemark, wo er, als das Deutsche Reich das Land 1940 besetzte, wieder einige Monate in einem Lager interniert wurde. Zu seinem Schutz heiratete er 1943 formal eine Dänin. Im Oktober 1943 gelang ihm dann mithilfe dänischer Helfer die Flucht ins neutrale Schweden. Dort gab er gemeinsam mit dem späteren Bundeskanzler Willy Brandt eine sozialistische Zeitschrift heraus.

Der 1903 geborene Fritz Bauer vereinte in sich gleich mehrere Eigenschaften, die schon isoliert betrachtet geeignet gewesen wären, ihn für die Nazis zum Hassobjekt zu machen: Er war Jude, als Atheist zwar nicht vom Glauben her, aber doch im Sinne des nationalsozialistischen Rassenwahns. Er gehörte der SPD und dem Republikanischen Richterbund an und war insofern als „links“ einzuordnen. Schließlich gibt es Vermutungen, dass er homosexuell gewesen sein könnte; diese These lässt sich allerdings nicht zweifelsfrei belegen.

1949 kehrte Bauer, anders als viele andere Emigranten, nach Deutschland zurück. Er wurde Landgerichtsdirektor, dann Generalstaatsanwalt in Braunschweig, um anschließend 1956 in Frankfurt das Amt des hessischen Generalstaatsanwalts anzutreten – dieses sollte er bis zu seinem Tode 1968 ausüben. Das Anliegen, mit dem er bekannt wurde – die Strafverfolgung nationalsozialistischen Unrechts – war damals nicht populär und so war seine Tätigkeit nicht nur von der heutigen Anerkennung weit entfernt, sondern sogar ausgesprochen umstritten. Das erstreckte sich auf Anfeindungen seiner Person gegenüber, die ihn zu der oftmals wiederholten Äußerung „Wenn ich mein (Dienst-)Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland!“ veranlasste.

Schon 1952, noch in Braunschweig, wurde Bauer anlässlich eines Verfahrens wegen Beleidigung und Verunglimpfung Verstorbener gegen Otto Ernst Remer, der maßgeblich an der Niederschlagung des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 beteiligt gewesen war, und sich in der jungen Bundesrepublik durch nazistische Aktivitäten hervortat, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In seinem Plädoyer sagte Bauer, das Dritte Reich sei „ein Unrechtsstaat“ gewesen – eine Einschätzung, die das Gericht in seinem Urteil übernahm. Zwar stammt der Begriff „Unrechtsstaat“ nicht von Bauer, sondern von dem Rechtsphilosophen Gustav Radbruch, von dem Bauer schon als Student beeindruckt gewesen war. Doch hat Bauer als erster versucht, ihn zu einem praktikablen Rechtsbegriff zu machen.

Gedenkstein von Fritz Bauer
Gedenkstein von Fritz Bauer

1959 übertrug der Bundesgerichtshof auf Betreiben Bauers die Strafverfahren gegen Täter von Auschwitz (d.h. dort tätige SS-Männer) dem Frankfurter Landgericht. 1963 begann der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess. 1965 wurden 17 der Angeklagten wegen Mordes bzw. gemeinschaftlichen Mordes oder gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord verurteilt. Allerdings konnte sich Bauer mit der von ihm vertretenen Rechtsansicht, dass es für die Verurteilung als Täter oder Gehilfe nicht erforderlich sei, eine Mitwirkung an spezifischen Tötungshandlungen während der Dienstzeit nachzuweisen, wenn jemand als Teil der Tötungsorganisation und mit Kenntnis von deren Zweck im KZ tätig gewesen sei, nicht durchsetzen. Erst viel später, im Demjanjuk-Prozess 2011 und in weiteren Verfahren gegen hochbetagte Angeklagte in den letzten Jahren schloss sich die Justiz dieser Rechtsmeinung an. Dennoch müssen die Auschwitz-Prozesse als großer Erfolg Bauers gelten: Die Bilanz der deutschen Justiz in Bezug auf die Aufarbeitung von NS-Unrecht ist durchwachsen, ohne Bauers Engagement wäre sie katastrophal zu nennen.

Bedeutsam war die Rolle Bauers auch im Fall Adolf Eichmann. Von einem ehemaligen KZ-Häftling erhielt er 1957 einen Hinweis auf den argentinischen Aufenthaltsort des im Reichssicherheitshauptamt an der Organisation der Judenvernichtung beteiligten Eichmann und leitete diesen an den Mossad weiter, da er bei Einschaltung deutscher Stellen eine Warnung Eichmanns durch NS-Sympathisanten befürchtete. Daran, dass Eichmann nach Israel verbracht und dort vor Gericht gestellt werden konnte, hatte er somit einen wichtigen Anteil. Lieber wäre es ihm freilich gewesen, Eichmann in Deutschland vor Gericht zu stellen. Sein Bemühen um ein deutsches Auslieferungsersuchen wurde 1960 von der Bundesregierung jedoch postwendend abgelehnt.

Bauer verstarb früh, bereits 1968. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute umstritten. Am 1.7. 1968 wurde Bauer tot in der Badewanne seiner Wohnung aufgefunden. Die – allerdings im Nachhinein als nachlässig zu bezeichnenden – Ermittlungen in Bezug auf die Todesumstände kamen zum Ergebnis, dass ein natürlicher Tod vorliege; die Leiche wurde eingeäschert und die Urne in Schweden beigesetzt. Verschiedene Autoren kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass Selbstmord oder gar Mord vorgelegen haben könne. Mit definitiver Sicherheit wird sich das nicht mehr klären lassen. Das gilt auch für einige andere umstrittene Details im Leben Bauers.

Definitiv sicher aber ist: Fritz Bauer hat sich um die Gerechtigkeit verdient gemacht. Nach ihm benannt ist das Fritz Bauer Institut in Frankfurt, das sich der Geschichte und Wirkung des Holocaust widmet. 2016 wurde vor dem Gebäude des Oberlandesgerichts Frankfurt ein Gedenkstein für Bauer enthüllt. Sein Leben und Wirken ist Gegenstand mehrerer Filme; der Spielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ von Lars Kraume erhielt 2016 den Deutschen Filmpreis als bester Film.

 

 

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Bildquellen:

Vorschaubild, Fritz Bauer an der Universität von Heidelberg, gemeinfrei

Gedenkstein Fritz Bauer vor dem OLG Urheber: Karsten Ratzke via Wikimedia Commons, gemeinfrei

 

Literatur (Webseitenangaben Stand 27.6.2016):

Irmtrud Wojak: Fritz Bauer, 1903 – 1968, Biographie, 2. Auflage, C.H. Beck, München 2009

Ronen Steinke: Fritz Bauer – oder Auschwitz vor Gericht, Piper Verlag, München 2013 (Die im ersten Absatz zitierte Aussage eröffnet das Vorwort von Andreas Voßkuhle)

Erardo Cristoforo Rautenberg: Die Bedeutung des Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer für die Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht, Forschungsjournal Soziale Bewegungen 4/2015, online unter http://forschungsjournal.de/sites/default/files/downloads/fjsb_2015-4_rautenberg.pdf (Rautenberg-Zitat im Eingangsabsatz dort auf Seite 2; „Feindliches Ausland“-Zitat von Bauer nach Rautenberg S. 3; zu Bauers Auffassung vom Unrechtsstaat S. 3, zu seiner Rechtsansicht zu den Voraussetzungen einer Verurteilung von in KZ Tätigen S. 4 ff.)

Brumlik-Zitat im Eingangsabsatz http://michabrumlik.de/tag/fritz-bauer/

Maas-Zitat aus Interview mit Deutschland Radio Kultur http://www.deutschlandradiokultur.de/fritz-bauer-film-ein-absolutes-muss.1008.de.html?dram:article_id=302339

Fritz Bauer auf den Seiten der Universität Heidelberg: https://www.uni-heidelberg.de/universitaet/heidelberger_profile/historisch/bauer.html

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