1999 hielt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ihre Jubiläumstagung ab - sie wurde 50 Jahre alt; gegründet worden war sie an Goethes 200. Geburtstag am 28. August 1949. Die Feierlaune zum Geburtstag Goethes und der Akademie wurde allerdings durch eine Todesnachricht getrübt: Kurz vorher war völlig überraschend Herbert Heckmann gestorben - der Frankfurter Schriftsteller und Literaturwissenschaftler war 1984 bis 1996 Präsident der Akademie gewesen.
Mit Goethe hatte Heckmann vor allem eines gemeinsam: er war - noch mehr als dieser - Frankfurter und hatte, wie Goethe, über seine Jugend in Frankfurt Autobiographisches geschrieben. Und er hatte sich auch als Literaturwissenschaftler mit ihm auseinandergesetzt - z. B. hatte er (gemeinsam mit Walter Michel) 1982 einen Band "Frankfurt mit den Augen Goethes" herausgegeben. Als Schriftsteller stand Heckmann, der eine Affinität zu Jean Paul hatte, und dessen Werk als das eines humoristischen Melancholikers beschrieben werden kann, Goethe dagegen eher fern.
Herbert Heckmann, der am 23. September 1930 in Frankfurt geboren wurde, verbrachte seine Kindheit in der Tornowstraße in der Kuhwaldsiedlung im Frankfurter Stadtteil Bockenheim. Er besuchte die katholische Bonifatius-Schule in Bockenheim und anschließend das Goethe-Gymnasium, dessen Zerstörung bei einem Bombenangriff 1944 er mit seiner Klasse im Keller erlebte. Im Anschluss wurde er nach Kassel im Spessart (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen nordhessischen Großstadt) evakuiert und machte 1951 in Gelnhausen das Abitur. Sein anschließendes Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte absolvierte er an der Frankfurter Goethe-Universität. Die erste Vorlesung, die er hörte, war die erste in Frankfurt des aus dem Exil zurückgekehrten Theodor W. Adorno. Während des Studiums publizierte er in der Zeitschrift "Diskus" erste literarische Beiträge. Betreuer seiner Dissertation über "Elemente des barocken Trauerspiels am Beispiel des 'Papinian' von Andreas Gryphius" war Kurt May. Über May kam er auch in Kontakt mit dem bekannten Germanisten und Literaturförderer Walter Höllerer, der damals dessen Assistent war. Im Anschluss an seine Promotion war Heckmann einige Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Münster (dort lernte er Golo Mann kennen, mit dem er fortan befreundet war) und Heidelberg tätig.
1962 erschien dann der Roman, der Heckmanns Ruf als Schriftsteller begründete: "Benjamin und seine Väter". Das Buch, das zu guten Teilen in Frankfurt-Bornheim spielt - einem Stadtteil, in dem sich Heckmann gut auskannte, da er sich in seiner Kindheit aufgrund von Verwandtenbesuchen öfter dort aufhielt - spiegelt das Frankfurt der Weimarer Republik und der beginnenden Naziherrschaft im Leben seines Protagonisten, des 1919 geborenen Benjamin, aus dessen Perspektive die Geschichte zu großen Teilen erzählt wird. Anders als man meinen könnte, hat der Name Benjamin nichts mit dem biblischen Benjamin zu tun, eher noch mit Walter Benjamin, dessen Werk Heckmann sehr schätzte (Heckmanns Sohn Moritz Eggert hielt dies 2017 in einem Interview mit der Frankfurter Neuen Presse für möglich, konnte aber letztlich nichts Definitives dazu sagen). Benjamin hat keinen Vater, was aufgrund der vielen Gefallenen nach dem Ersten Weltkrieg nicht ungewöhnlich war, hier allerdings an der unehelichen Geburt Benjamins liegt, und deshalb zum Problem wird. Seine Mutter macht unterschiedliche Angaben dazu, wer denn der Vater gewesen sei, und ihr Chef Fritz Bernoulli alias Jonas, ein übergewichtiger Anwalt, nimmt sich der Vaterstellung an. Das Buch ist ein Schelmenroman - nicht umsonst liest der Protagonist den Don Quijote -, ein Jugend- und Abenteuerroman, der in launig-humorigem Ton erzählt wird, wobei immer wieder einmal zeitgenössische Ereignisse aufscheinen - Jonas wird am 30. Januar 1933 beerdigt, an dem Tag, an dem die Weimarer Republik ihr Ende fand. Letztlich steht die Schilderung der individuellen Lebensgeschichte der Zeitkritik gegenüber dann aber doch im Vordergrund. Heckmann hat hier viel Autobiographisches eingearbeitet, wobei man im Auge haben muss, dass er elf Jahre später geboren war als sein Romanheld. 2017 wurde Heckmanns wohl bekanntestes Werk als Lektüre im Rahmen der Aktion "Frankfurt liest ein Buch" ausgewählt und aus diesem Anlass im Verlag Schöffling & Co neu aufgelegt.
1965-67 arbeitete Heckmann als Dozent in Evanston (Illinois, USA) und war nach seiner Rückkehr auch journalistisch tätig, vor allem für den Hessischen Rundfunk und die Frankfurter Rundschau. Sein zweiter Roman "Der große Knock-out in sieben Runden" (1972), für den er auf seine USA-Erfahrung zurückgriff, fiel bei der Kritik durch. In der Folge veröffentlichte Heckmann mehrere Erzählungsbände, aber auch Kinderliteratur und eine ganze Reihe von Sachbüchern zu unterschiedlichen Themen, vom hessischen Dialekt (Heckmann sprach selbst mit Frankfurter Mundartfärbung) bis hin zu Büchern übers Kochen und über Wein; darüber hinaus verfasste er Radiofeatures.
Heckmann war jemand in der literarischen Welt, und das zeigte sich dann auch in seiner Wahl zum Präsidenten der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung - als solcher sorgte er unter anderem dafür, dass das Preisgeld für den von dieser vergebenen Büchner-Preis, dem wichtigsten deutschen Literaturpreis, aufgestockt wurde. Und er versuchte, der Akademie politischen Einfluss zu verschaffen, was aber nicht glückte. Bei alledem war Heckmann nicht präsidial, sondern vom Auftreten her völlig unprätentiös, ja geradezu jovial. Das gefiel nicht allen, war aber der Vermittlung von Literatur an die breite Öffentlichkeit immer wieder dienlich.
"Benjamin und seine Väter", mit dem Heckmanns literarische Karriere begonnen hatte, war ein autobiographisch grundiertes Buch. Mit einem seiner letzten Bücher schloss sich ein Kreis: In "Die Trauer meines Großvaters" (1994) schildert Heckmann nunmehr unverschlüsselt seine Kindheit in Bockenheim. Auch in diesem späten Werk treten noch einmal die Charakteristika seines Schreibens hervor: Ein launiger Humor, zwischen dem hin und wieder das Entsetzen über die Zeitläufte aufblitzt, bevor dann der Krieg das Leben zu dominieren beginnt - hier geht es nun nicht mehr um die Weimarer Republik, sondern um die Nazi-Diktatur. Wer Heckmann kennenlernen möchte, und Interesse am Frankfurt der 30er Jahre hat, sollte mit diesem Buch, einem seiner aufschlussreichsten, beginnen.
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Textquelle:
Fischer, Roman: Heckmann, Herbert. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), abgerufen von >http://frankfurter-personenlexikon.de/node/3512< am 14.02.2022.
Beitrag des Deutschlandfunks anlässlich des Todes von Herbert Heckmann: abgerufen von >https://www.deutschlandfunk.de/zum-tod-von-herbert-heckmann.700.de.html?dram:article_id=79574< am 14.02.2022.
Heckmanns Selbstvorstellungsrede bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung: abgerufen von >https://www.deutscheakademie.de/de/akademie/mitglieder/herbert-heckmann/selbstvorstellung< am 14.02.2022.
Interview der Frankfurter Neuen Presse mit Heckmanns Sohn Moritz Eggert zur Aktion "Frankfurt liest ein Buch, 2017: abgerufen von: >https://www.fnp.de/kultur/frankfurt-liest-wieder-buch-10488707.html< am 14.02.2022.
Beitrag in der Frankfurter Rundschau zur Aktion "Frankfurt liest ein Buch": abgerufen von >https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-liest-heckmann-11664296.html< am 14.02.2022.
Rezension zu "Benjamin und seine Väter" von Sabine Ibing: abgerufen von >http://www.sabine-ibing.ch/rezension-sabine_ibing-benjamin_und_seine_vaeter-herbert_heckmann.htm< am 14.02.2022.
Kritische Rezension zu "Benjamin und seine Väter" auf Deutschlandfunk Kultur: abgerufen von >https://www.deutschlandfunkkultur.de/herbert-heckmann-benjamin-und-seine-vaeter-ein-stadt-roman.950.de.html?dram:article_id=378265< am 14.02.2022.
Webseite mit Auflistung von Heckmanns wichtigsten Publikationen: abgerufen von >https://www.geheli.de/autoren/heckmann-herbert.html< am 14.02.2022.
Bildquellen:
Ffm Hamburger Allee 48, 2013, Urheber: Wikimedia Commons CC0.
viaBundesarchiv B 145 Bild-F005759-0014, Frankfurt-Main, Universität, 1958, Urheber: Bundesarchiv, B 145 Bild-F005759-0014 / Schlempp via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0 de.