„Es werd in der Weld viel Spas jetzt gemacht, / Drum war ich, Ihr Leut, uf aach ähn bedacht, / Er kimmt net von Minche, net von Berlin, / Aach net von Leipzig, net emol von Wien; / Bei uns in Frankfort, do is er geheckt, / Drum glab ich, Ihr Borjer, daß er Eich schmeckt.“
So beginnt die Vorrede zu „Die Entführung oder Der alte Bürger-Capitain“, dem bekanntesten Theaterstück von Carl Balthasar Malß (1792-1848), dessen Name gelegentlich auch „Malss“ geschrieben wird. Die Uraufführung im Frankfurter Comoedienhaus am 13. August 1821, die nach anfänglicher Skepsis der Öffentlichkeit ein großer Erfolg war, war gleichzeitig die erste öffentliche Aufführung eines Frankfurter Dialektstücks überhaupt. Die Titelrolle spielte der Volksschauspieler Samuel Friedrich Hassel (1798-1876) und sie wurde zur Rolle seines Lebens – 45 Jahre lang spielte er sie, bis 1866. Dass er den „Capitain“ ausgerechnet bis zu diesem Jahr – lange nach dem Tod des Autors – verkörperte, in dem Frankfurt seine Unabhängigkeit verlor und an Preußen fiel, ist vielleicht kein Zufall. Jedenfalls waren die Frankfurter Dialektdichter ein Teil der Frankfurter Identität als Reichsstadt und der berühmteste von ihnen, Friedrich Stoltze, trat als Bismarck- und Preußen-Gegner hervor.
Dass der in Frankfurt geborene und gestorbene Carl Malß Nachruhm als Theaterautor erlangen würde, war nicht von vornherein klar. Er hatte ein sehr abwechslungsreiches Leben und arbeitete in verschiedenen Metiers. Geboren wurde er als Sohn eines Spezerei- und Farbenwarenhändlers am 5.12.1792; in zeitgenössischen Lebensbeschreibungen und möglicherweise auch von ihm selbst wurde der Geburtstag aber auf den 2.12.1792 vorverlegt, den Tag, an dem Frankfurt durch hessische und preußische Truppen von einer französischen Besetzung während der Revolutionskriege befreit wurde. 1814 und 1815 kämpfte Malß dann in den Befreiungskriegen als Offizier der Frankfurter Freiwilligen gegen Frankreich. Das entsprach – wie die Manipulation des Geburtsdatums – dem Verständnis von Patriotismus, das man damals hatte, und der dadurch entstandene Kontakt mit einfachen Soldaten soll sein Gespür für den Frankfurter Dialekt gefördert haben. Dass er ein Frankreich-Feind gewesen wäre, kann man gleichwohl nicht sagen, denn er hatte eine kaufmännische Lehre in Lyon absolviert – einer Handelsstadt wie Frankfurt, die diesem heute durch eine Städtepartnerschaft verbunden ist, und in der sich im Jahrhundert davor schon Friedrich Georg Göthé, Goethes Großvater in väterlicher Linie, aufgehalten hatte. Der Kaufmannsberuf, den Malß nach dem Wunsch seines Vaters erlernt hatte, behagte ihm jedoch nicht. Als er aus dem Krieg zurückkam, studierte er in Gießen Ingenieur- und Bauwesen sowie Mathematik und erwarb danach praktische Erfahrung bei dem bekannten Baumeister Georg Moller (1784-1852), zu dessen heute noch existierenden Bauten u. a. das Staatstheater in Mainz und das Wiesbadener Stadtschloss gehören, die freilich beide nach der Zeit erbaut wurden, die Malß bei ihm verbrachte. Ab 1819 war Malß dann bei der Festungsbaukommission in Koblenz angestellt, blieb dort aber nicht lange, sondern wechselte 1821 als zweiter Direktor ans Frankfurter Theater, dem er lebenslang verbunden blieb.
Im selben Jahr fand die Uraufführung des „Bürger-Capitains“ statt – die Arbeit an diesem Stück hatte Malß wohl schon 1814 begonnen. Eine „Bürgerkompagnie“, die von einem solchen „Capitain“ geleitet wurde, und nicht nur Wehr-, sondern auch Polizei- und Feuerwehrzwecken diente, bestand früher in jedem Frankfurter Stadtbezirk – zum Zeitpunkt der Handlung, 1814, kam diesen Kompagnien aber weitgehend nur noch symbolische Bedeutung zu. Im Stück ist es der Gastwirt Kimmelmeier, die Titelfigur, die den Rang des „Capitains“ (also Hauptmanns) innehat. In dessen Gaststube treffen sich allerlei Frankfurter, darunter auch einige Originale. Vor allem aber geht es in der Handlung um zwei Liebesgeschichten: die von Kimmelmeiers Tochter Lieschen mit dem Studenten August Weigenand, der als armer Schlucker ihrer zunächst nicht für wert befunden wird, sich dann aber bei einem Brand als Retter bewährt und zum Dank ein Gartenhäuschen geschenkt erhält. Und die von deren Cousine Gretel mit einem Cornet (also einem rangniedrigen Kavallerieoffizier), der es nicht ernst mit ihr meint, sodass diese Geschichte nicht gut ausgeht. Das Stück wurde auch von Goethe geschätzt und „höchlich empfohlen“.
Die nächsten Stücke von Malß entstanden erst in den 30er Jahren. Hierunter sind vor allem die „Hampelmann“-Stücke nennenswert: Beginnend mit „Die Landpartie nach Königstein“ (1832) schrieb er drei Possen um den tolpatschigen Wollhändler Hampelmann und führte damit die „Hampelmanniade“ in die deutsche Literatur ein – die Figur wurde später von anderen Autoren aufgegriffen, u. a. von Friedrich Stoltze, der sie regelmäßig in seiner Satirezeitschrift „Frankfurter Latern“ auftreten ließ. Im Theater verkörpert wurde der Hampelmann durch Samuel Friedrich Hassel, den Darsteller des „Bürger-Capitains“, der seine jahrzehntelange Popularität vor allem seinen Hauptrollen in Malß-Stücken verdankte.
Malß' letztes Stück „Die Jungfern Köchinnen“ wurde 1835 uraufgeführt, danach erlosch seine Produktivität – vor allem deshalb, weil er sich immer mehr in der Leitung des Theaters engagierte und dieses schließlich als Mitbetreiber übernahm. Der Frankfurter Staats-Calender 1846 vermeldet auf Seite 140: „Stadt=Theater. Dasselbe ist durch Concession Hohen Senats den Herren Guhr, Malß und Meck als Theater=Unternehmern vom 1. Mai 1842 an auf eine Reihe von 5 resp. 10 Jahren verliehen worden“. Carl Guhr (1787-1848) war Theaterkapellmeister, Leonhard Meck (1787-1861) ursprünglich Schauspieler. Die Stellung eines Theaterunternehmers war allerdings in den 40er Jahren, in denen es in Frankfurt eine Theaterkrise gab, keine einfache.
Carl Malß starb am 3. Juni 1848. Ob er sich selbst das Leben genommen hat, ist bis heute ungeklärt. 1849 erschien bei Sauerländer das „Volkstheater in Frankfurter Mundart“, die erste Sammelausgabe seiner Stücke. Diese – und vor allem der „Bürger-Capitain“ – werden in Frankfurt bis heute aufgeführt und waren insbesondere ein fester Bestandteil des Repertoires des 2013 geschlossenen Volkstheaters Liesel Christ. Manche Literaturwissenschafter sehen in Malß ein Frankfurter Pendant zu bekannteren Dialektdichtern anderer Städte wie dem Wiener Johann Nestroy.
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Textquellen:
Carl Malß im Frankfurter Personenlexikon: abgerufen von >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/432< am 15.02.2020.
Carl Malß in der Allgemeinen Deutschen Biographie: abgerufen von >https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Mal%C3%9F,_Karl< am 15.02.2020.
Text des Stücks „Der alte Bürger-Capitain“ auf Zeno.org: abgerufen von >http://www.zeno.org/Literatur/M/Mal%C3%9F,+Karl/Dramen/Der+alte+B%C3%BCrger-Capitain/Vorrede< am 15.02.2020.
Volkstheater in Frankfurter Mundart, Frankfurt a. M., J. D. Sauerländers Verlag, 1849.
Karl Malss, Frankfurter Mundartstücke, Waldemar Kramer Verlag, Frankfurt 1988
Bildquellen:
Vorschaubild: Carl Balthasar Malß, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Der Volksschauspieler Samuel Friedrich Hassel in seiner Paraderolle als Bürgerkapitän, 1876, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Grab von Carl Malß auf dem Frankfurter Hauptfriedhof, 2016, Urheber: Karsten Ratzke via Wikimedia Commons CC0.