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Gerhard Klein

Leipzig-Skizzen

Gerhard Kleins Städteskizzen zeigen jeweils 18 ausgewählte Gebäude, Denkmäler und Plätze der Stadt. Auch Leipzig stellt er in einem zusammengestellten Skizzenheft von seiner charmantesten Seite dar. 

Oswald von Nell-Breuning

Oswald von Nell-Breuning

Ralph Zade

101 Lebensjahre, 1800 Publikationen, 63 Jahre Verbundenheit mit der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen und damit dem Standort Frankfurt, Berühmtheit weit über Frankfurt und auch Deutschland hinaus, Papstberater, Anerkanntheit als Fachmann und als moralische Instanz in weiten Teilen der Gesellschaft, auch in solchen, die der Kirche fernstanden – ein Leben der Superlative. Und dennoch war Oswald von Nell-Breuning ein bescheidener Mann, der seine Texte in seiner Spätzeit auf einer sehr in die Jahre gekommenen Schreibmaschine schrieb und von 1928 bis 1987 das Theresienkinderheim in Offenbach als Hausgeistlicher betreute, also auch noch zu einer Zeit, in der er nicht nur berühmt, sondern auch schon sehr alt war.

Geborener Frankfurter war Nell-Breuning nicht – er wurde in der 1890 in der Lindenstraße in Trier geboren, das Haus steht noch. Aus bescheidenen Verhältnissen, wie man bei der Ausrichtung seines Schaffens vermuten könnte, stammte er auch nicht – sein Vater Arthur von Nell (den Nachnamen seiner Mutter, Breuning, nahm Nell-Breuning erst während seiner Studienzeit zusätzlich an) war adliger Weingutsbesitzer. Dass er sein Abitur am selben Gymnasium wie Karl Marx ablegte, passt schon besser zu dem, was aus ihm werden sollte – dennoch interessierte er sich erst einmal nicht für Ökonomie, nämlich die Übernahme des väterlichen Gutes, sondern wollte nach vier Jahren mathematischer und naturwissenschaftlicher Studien an verschiedenen Universitäten Priester werden, begann 1910 in Innsbruck mit dem Theologiestudium (und dem der Philosophie), trat 1911 in den Jesuitenorden ein und wechselte für zwei Jahre an die Hochschule des Ordens in Valkenburg in den südlichen Niederlanden. Seine Studien wurden durch einen zweijährigen Kriegsdienst und eine Tätigkeit als Erzieher im Dienste des Ordens, die ihn ins österreichische Feldkirch führte, unterbrochen. 1920 kehrte er nach Innsbruck zurück, schloss dort sein Studium ab und wurde ein Jahr später zum Priester geweiht. 1926 ging er auf Geheiß des Ordens nach Münster und wurde dort 1928, ein Jahr vor dem Börsencrash von 1929 promoviert – das Thema seiner Dissertation lautete „Grundzüge der Börsenmoral“. Das passte nicht nur in die Zeit, es passte auch zu dem Ort, an dem er für den Rest seines Lebens tätig sein sollte – der Börsenstadt Frankfurt.

1928 nämlich wurde er Professor für Moraltheologie, Kirchenrecht und Gesellschaftswissenschaften an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen, der er bis über seine Emeritierung hinaus treu bleiben sollte. Im selben Jahr nahm er die ebenfalls schon erwähnte seelsorgerliche Tätigkeit im Theresienkinderheim auf. Wie an der Hochschule blieb er auch hier jahrzehntelang.

1931 erlebte seine Wirksamkeit einen ersten Höhepunkt: Er arbeitete als Hauptautor an der Formulierung der Enzyklika Quadragesimo anno mit, die Papst Pius XI. in diesem Jahr veröffentlichte. Dieses Sendschreiben, das sich der Wirtschafts- und Sozialordnung widmete und von grundlegender Bedeutung für die Haltung der katholischen Kirche zu entsprechenden Fragen war, ging vor allem auf die berufsständische Ordnung und auf das Subsidiaritätsprinzip ein, nach dem Aufgaben in der Gesellschaft so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig angesiedelt sein sollen. Dieses Prinzip, das nicht völlig neu war, hier aber erstmals so klar formuliert wurde, machte später eine erstaunliche Karriere – bis ins Europarecht hinein. Nell-Breuning war damit endgültig als Autorität im Bereich der katholischen Soziallehre etabliert – später wurde er oft als deren Nestor bezeichnet. Seine Wirkung beruhte neben der Fähigkeit, sich in verschiedenste Wissensgebiete einzuarbeiten – Volkswirtschaft (Nationalökonomie), die für seine Arbeit ein zentrales Fach war, hatte er ja gar nicht studiert – auf dem Vermögen, Brücken zu Bereichen der Gesellschaft zu schlagen, die der Kirche an sich eher fernstanden, wie der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften. Das sollte sich vor allem auch nach dem Krieg noch zeigen. Zum Nationalsozialismus dagegen hielt er stets Distanz und bekam dementsprechend auch Schwierigkeiten. Über ein Schreib- und Publikationsverbot hinaus wurde er wegen angeblicher Verfehlungen in Verbindung mit seiner Tätigkeit als Vermögensverwalter der Niederdeutschen Jesuitenprovinz zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe von 500.000 Reichsmark verurteilt, konnte den Antritt der Strafe aber wegen gesundheitlicher Gründe verzögern und sie damit letztlich umgehen – nach dem Krieg wurde er rehabilitiert.

In der Nachkriegsära lag ein weiterer Schwerpunkt seines Wirkens. Als anerkannter Wissenschaftler nahm er auch außerhalb der Jesuitenhochschule Lehraufträge wahr, wie etwa an der Johann Wolfgang Goethe-Universität und an der Frankfurter Akademie für Arbeit (einer Gewerkschaftseinrichtung). Noch wichtiger für die erstaunliche Resonanz, die seine Arbeit fand, war aber seine Tätigkeit in der Politikberatung. Dabei wurde er von der CDU wie der SPD als den beiden großen Volksparteien geschätzt, ebenso aber von den Gewerkschaften. Nell-Breuning verfügte über ein hohes Maß an geistiger Unabhängigkeit und agierte als Grenzgänger zwischen Kirche, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Dabei scheute er sich nicht, auch Positionen der Kirche öffentlich zu kritisieren, aber auch denjenigen zu widersprechen, die er beriet. „Kapitalismus kritisch betrachtet“ war der Titel eines seiner Bücher. Letztlich schätzten ihn alle.

Zum hundertsten Geburtstag verlieh Bundespräsident Richard von Weizsäcker Oswald von Nell-Breuning das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Im Februar 1991 konnte er sein 70jähriges Priesterjubiläum feiern. Ein halbes Jahr später starb er. Er ist auf dem Frankfurter Südfriedhof begraben. Seine Gedanken wirken fort – wenn Papst Franziskus sich heute gegen eine Wirtschaft wendet, die tötet, steht er damit letztlich in der Tradition von Nell-Breunings Ideen.

 

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Textquellen:

Klein, Heribert (Hrsg.): Oswald von Nell-Breuning – unbeugsam für den Menschen: Lebensbild, Begegnungen, ausgewählte Texte, Freiburg:Herder-Verlag, 1989.

Webseite zum Geburtshaus: abgerufen von >https://www.trier.de/rathaus-buerger-in/aktuelles/rathaus-zeitung/erinnerung-an-pater-nell-breuning/< am 07.11.2022.

Frost, Reinhard: Nell-Breuning, Oswald von (Artikel aus der Frankfurter Biographie (1994/96)) in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe) abgerufen von >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/615< am 07.11.2022.

Beitrag zu Nell-Breuning auf der Website der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen (Oswald von Nell-Breuning Institut): abgerufen von  >https://nbi.sankt-georgen.de/institut/pater-oswald-von-nell-breuning-sj< am 07.11.2022.

Webseite des Oswald Nell-Breuning Instituts: abgerufen von >https://nbi.sankt-georgen.de/institut/profil<

Oswald von Nell-Breuning auf der Website der Konrad Adenauer-Stiftung: abgerufen von  >https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/oswald-von-nell-breuning-sj< am 07.11.2022.

 

Bildquellen:

Vorschaubild: 

Ausschnitt einer Fotografie: Pater Oswald von Nell-Breuning mit Prof. Heiner Ludwig (links) und Karl Nothof, Vorsitzender der KAB, Urheber: Haus am Malberg via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.

Einfahrt der PTH Sankt Georgen, 2007, Urheber: Rupp.de via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.

 

 

 

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