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Flechtwerk
Lebendige Nachbarschaft und Integration

so heißt die erste Ausgabe unserer neuen Zeitschrift

FLECHTWERK - Lebebendige Nachbarschaft und Integration

Die Deutschen sind ofener geworden und haben gleichzeitig mehr Sinn für Heimat, Familie und Nachbarschaft entwickelt. Es müssen neue Wege gesucht werden, um Ausgrenzung und Anonymität zu verhindern.

Johann Wilhelm Sauerwein

Johann Wilhelm Sauerwein

Ralph Zade

"Jetzt, Schnitzspahn, streck die Beine aus! / Die Fall' ist leer, fort ist die Maus. / Oh Polizei, wie viel Verdruß. / Macht dir der Studio Lizius.

Die Vorsicht war gewiß sehr groß; / Doch macht der Inquisit sich los, / Bricht Gitter, Kasten - und mit Seil / Läßt er sich nieder auf die Zeil.

Wer weiß, wie lang er fort schon war, / Da ward's die Schildwach erst gewahr. / Das Seil hing noch am alten Ort; / Jedoch der Galgenstrick war fort. (...)"

 

Das Lizius-Lied, mit dem die Flucht des beim Wachensturm von 1833 festgenommenen Revolutionärs Bernhard Lizius (1812-1870) aus seiner Haft in der Konstablerwache besungen wurde, war seinerzeit einer der bekanntesten Texte des Journalisten und Schriftstellers Johann Wilhelm Sauerwein. Es zeigt zwei Charakteristika des Schaffens seines Autors: Wie Lizius war Sauerwein ein Liberaler, der deshalb auch gelegentlich Schwierigkeiten mit der Obrigkeit bekam. Und Humor und Satire waren die Mittel, mit der er seine politischen Ansichten häufig zum Ausdruck brachte. Dazu kommt freilich noch etwas anderes, an diesem Text nicht sichtbares: Sauerwein war Frankfurter und als solcher auch ein Freund des Frankfurter Dialektes. Und so ist der Teil seines Werkes, der heute als der bedeutendste erscheint, der auf Frankfurterisch verfasste.

Johann Wilhelm Sauerwein wurde am 9.5.1803 im Steinernen Haus am Markt - das nach schweren Kriegszerstörungen 1944 Anfang der 60er Jahre rekonstruiert wurde - als Sohn des Schneidermeisters Johann Adam Sauerwein geboren. Ab 1813 ging er auf die Männerschule der Weißfrauenkirche. Dort fiel er dem Pfarrer Anton Kirchner (1779-1834) auf. Kirchner, der sich als Verfasser einer Frankfurter Stadtgeschichte und der heute noch lesenswerten "Ansichten von Frankfurt am Main und seiner Umgegend" (1818) um das Frankfurter Kulturerbe verdient gemacht hat, veranlasste ihn 1817 zum Übertritt auf das Städtische Gymnasium (dem Vorläufer des heutigen Lessing-Gymnasiums), um sich dort auf das Studium der evangelischen Theologie vorzubereiten. Und so geschah es dann auch. Sauerwein studierte in Heidelberg und kam 1828 in seine Heimatstadt zurück. Allerdings wurde es mit einer Theologenkarriere nichts. Er wurde nicht zum theologischen Examen zugelassen, was daran gelegen haben soll, dass er bei einer Aufführung des seinerzeit sehr populären (und von Mundartbühnen auch heute gelegentlich noch gespielten) Dialektstücks "Der Bürger-Capitain" von Carl Malß einen Konsistorialrat verspottet habe. Ob das der Wahrheit entspricht ist zweifelhaft - es scheint eher so gewesen zu sein, dass seine Neigung zur Theologie ihre Grenzen hatte.

Sauerwein versuchte mehrfach, in den Schuldienst zu kommen, was ihm aber nicht gelang. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt nun weitgehend durch journalistische Veröffentlichungen, unter anderem in der Zeitschrift "Iris". Seine Texte waren politisch im Sinne einer Kritik an der Obrigkeit im Rahmen der liberalen, bürgerlich-patriotischen Bestrebungen rund um das Hambacher Fest (1832) und dabei in der Regel auch satirisch. Seine zahlreichen, weit verstreuten Zeitschriftenbeiträge lassen sich heute nicht mehr vollständig ermitteln. Daneben verfasste er auch eigenständige Publikationen, die ein weit gefächertes Spektrum von der Judenemanzipation bis zum Zustand der Gefängnisse abdeckten. Und er begann, Possen im Frankfurter Dialekt zu schreiben. Die berühmteste hiervon, mit der er sich als Dialektautor einen Namen machte, war "Der Gräff, wie er leibt und lebt. Eine wahrhaftige Schulscene, aus den Papieren eines Erstklässers" (1833), mit der er einen seiner ehemaligen Lehrer, Georg Friedrich Gräff (1768-1822), der gemeinhin als Frankfurter Original angesehen wurde, karikierte. Seine weiteren Dialektwerke veröffentlichte Sauerwein dann stets mit der Autorenangabe "Vom Verfasser des Gräff".  

Seine politischen Publikationen brachten Sauerwein hin und wieder Ärger ein, auch solchen juristischer Natur. Allerdings kam er dabei längere Zeit ohne größere Probleme davon, was daran gelegen haben mag, dass das satirische und humoristische Element in vielen seiner politischen Veröffentlichungen im Vordergrund stand - viele Publikationen der Zeit waren radikaler. Das änderte sich mit dem Frankfurter Wachensturm im April 1833. Eine hierzu verfasste Flugschrift wurde Sauerwein übelgenommen und so wurde er über mehrere Monate in Untersuchungshaft gehalten.

1834 ging Sauerwein ins Exil nach Liestal in der Schweiz, dann nach Bern. Der 1835 unternommene Versuch, in Paris Fuß zu fassen, schlug fehl. Er ging nach Bern zurück und fand schließlich eine Stelle als Professor für deutsche und englische Sprache am Collège in St. Marcellin im französischen Département Isère (dessen Präfektur sich in Grenoble befindet). Zwischenzeitlich verlor er diese Stelle wieder, konnte dann aber unter prekären Umständen weiter als Lehrer am Collège arbeiten. Nach Frankfurt konnte er nicht zurück, weil er dort mittlerweile wegen eines Flugblatts zum 1. Mai, das er angeblich 1831 verfasst haben sollte, steckbrieflich gesucht wurde. Versuche, eine bessere Stelle zu finden, schlugen fehl.

In den 30er und 40er Jahren erschienen weitere Dialektpossen, von denen "Frankfurt, wie es leibt und lebt" mit den drei Teilen "Der Gemüsmarkt" (1838), "Die Bernemer Kerb" (1839) und "Der 18. Octower" (1840) am bekanntesten geworden ist. Sein Dialektschaffen stellt aus heutiger Sicht den bedeutendsten Teil von Sauerweins Werk dar. Er gilt heute neben Friedrich und Adolf Stoltze und Carl Malß als einer der wichtigsten Dialektautoren Frankfurts, auch wenn sein Bekanntheitsgrad mit dem Friedrich Stoltzes, des ungekrönten Königs der Frankfurter Dialektliteraten, nicht zu vergleichen ist.

1844 erkrankte Sauerwein an Rückenmarkslähmung; als Schwerkranker kehrte er nach Frankfurt zurück, wo angesichts seines Gesundheitszustands auf eine Strafverfolgung verzichtet wurde. Er starb am 31.3.1847. 1887 wurde eine Sammelausgabe seiner Dialektschriften veröffentlicht.

 

 

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Textquellen:

Johann Wilhelm Sauerwein in der Allgemeinen Deutschen Biographie:  abgerufen von >https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Sauerwein,_Johann_Wilhelm< am 14.02.2022.

Johann Wilhelm Sauerwein in der Deutschen Biographie: >https://www.deutsche-biographie.de/sfz77788.html< am 14.02.2022. 

Johann Wilhelm Sauerwein im Frankfurter Personenlexikon: >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/998< am 14.02.2022. 

Johann Wilhelm Sauerwein im Volksliederarchiv: >https://www.volksliederarchiv.de/lexikon/sauerwein< am 14.02.2022.

 

Bildquellen:

Vorschaubild: Datei-Frankfurter Wachensturm at night, etwa 1833, Urheber: Francois Georgin via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Steinernes Haus, Aquarell von Carl Theodor Reiffenstein, 1845 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Frankfurt Barfüßerkloster 1830, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

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