Die Geschichte Arthur Schopenhauers in Frankfurt begann 1831 mit einer Flucht. Einer Flucht vor der grassierenden Choleraepidemie, die sich in Berlin ausbreitete. Hegel, der blieb, wurde von der Krankheit kurze Zeit später dahingerafft. Schopenhauer erreichte die Mainstadt unbeschadet und lebte bis zu seinem Tode in ihr. Ganze 27 Jahre. Die Feindseligkeit zwischen den beiden gegensätzlichen Philosophen Hegel und Schopenhauer hatte an der Berliner Universität begonnen, wo Schopenhauer versucht hatte, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, was ihm aufgrund der Beliebtheit der Hegelschen Vorlesungen nur schlecht gelang. So vermisste er Berlin bei seinem Abschied kaum.
Überstürzt war nichts an der Übersiedlung, wohl aber kann man von einer geplanten Flucht sprechen. Genaue Überlegungen gingen der Entscheidung voraus. Die Vorteile Frankfurts notierte der damals noch weitgehend unbekannte Philosoph auf die Klappe eines seiner Rechnungsbücher. „Gesundes Klima. Schöne Gegend. Annehmlichkeiten großer Städte [...]" zählte er auf sowie „Ein geschickter Zahnarzt und weniger schlechte Ärzte". In Frankfurt suchte Schopenhauer nicht die Gesellschaft, nicht den regelmäßigen Austausch mit den geistigen Größen, sondern einen möglichst ungestörten Ort, um sein philosophisches Werk zu vollenden. Denn das, was er zu sagen hatte, stand fest. Er unterwarf die Gedanken seiner Philosophie keiner Entwicklung. Er ergänzte und erweiterte sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung" lediglich. Fertig war es bereits, als es der 30-jährige Schopenhauer zwischen 1814 und 1818 in Dresden niederschrieb.
Das erste in Frankfurt entstandene Buch „Über den Willen in der Natur" wurde 1836 verlegt. Es folgten 1839 „Über die Freiheit des menschlichen Willens" und "Parerga und Paralipomena" 1851. Frankfurt war der Ausgangspunkt für einen Weltruhm, der sich für Schopenhauer nach außen nicht so darstellte, wie man sich das im Allgemeinen vorstellen mag. Da gab es keine Feierstunden zu seinen Ehren, keine Dankesschreiben und öffentlichen Aufmerksamkeiten in Form von Zeitungsmeldungen. Es war trotz Anerkennung und Verehrung die von Schopenhauer selbst auferlegte innere Einsamkeit, die dabei ihren Widerhall fand.
Er selbst bezeichnete sein Wesen als „systematisch ungesellig." Nur wenige wurden daher Weggefährten dieses Ungeselligen und erhielten seine Zuwendung. Zum Beispiel der Lustspieldichter Georg Römer, dem Schopenhauer einst im Gasthaus „Zum Schwan" Hinweise zu seinen Komödien gab. Den überschaubaren Kreis der Anhänger seiner philosophischen Lehre nannte er seine „Apostel". Ja, er fand nach und nach sogar einige treue Freunde, wie seinen Nachlassverwalter und Verlagsrechteinhaber Julius Frauenstädt. Wirklich ins öffentliche Bewusstsein rückte Arthur Schopenhauer jedoch erst nach seinem Tod. Straßen erhielten dann seinen Namen, Denkmäler wurden aufgestellt.
Sein väterliches Erbe erlaubte dem Denker ein Dasein als Privatgelehrter zu pflegen. Das verschaffte ihm den seltenen intellektuellen Luxus, sich lediglich um seine Studien kümmern zu brauchen.
Strukturierte Tagesabläufe scheinen bei einer Vielzahl bemerkenswerter Autoren zum Ziel der Wünsche geführt zu haben. Erinnert sei hier nur an Immanuel Kant oder Thomas Mann. Auch Arthur Schopenhauer hatte sich mit großer Disziplin einen solchen Ablauf geschaffen. Dazu gehörten unter anderem die tägliche morgendliche Arbeit am Schreibtisch und das regelmäßige Flötenspiel vor dem Mittagessen.
Schopenhauer schätzte das vielfältige und hochrangige kulturelle Angebot der Stadt und besuchte besonders gern die Senckenbergische Bibliothek, das Physikalische Kabinett und das Städelsche Kunstinstitut, ging ins Theater oder zu Opernaufführungen. Und er war Mitglied der Museumsgesellschaft und der Lesegesellschaft des Bürgervereins.
Wenngleich der als Misanthrop und Miesepeter verschriene Schopenhauer nicht viel für Geselligkeit und Lebensfreude übrig hatte, so kümmerte er sich doch mit erhebender Anteilnahme um seinen Pudel, den er Atman nannte. Starb ein Pudel, so bekam dessen Nachfolger ebendiesen Namen. Gern spazierte der Philosoph mit seinem Hund am Mainufer entlang und unterhielt sich mit sich selbst oder mit dem Tier, was so manchem Passanten eigentümliche Blicke entlockt haben mag. Die Innigkeit zu einem Haustier stieß damals noch auf wenig Verständnis und wirkte auf viele befremdlich. Schopenhauer indessen war sein ganzes Leben hindurch ein Fürsprecher für das Recht der Tiere. Seine Ethik schließt im Gegensatz zu Kant, in dessen Nachfolge sich Schopenhauer sah, das Mitgefühl für das Tier ein. Mitleid definiert er als Charakterfrage, die für Tier und Mensch gleichermaßen Gültigkeit hat. Die Einzigartigkeit eines jeden Lebens war Schopenhauer bewusst und so formulierte er den bekannten Satz: Ein jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen.
An einer Lungenentzündung starb Arthur Schopenhauer am Morgen des 21. September 1860 auf dem Sofa sitzend in seiner Wohnung an der Schönen Aussicht 16, direkt am Mainufer. Nur ganz wenige Menschen begleiteten seinen Sarg. Ein Jahr zuvor erst war er vom Nachbarhaus herüber gezogen, weil es mit dem Hausherrn einen Streit wegen seines Pudels gegeben hatte. Der alte Philosoph hatte sich bis zum Schluss nicht den Befindlichkeiten anderer Leute anpassen wollen. Auf eine ganz eigene - eine Schopenhauersche Art und Weise - ist das sympathisch.
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Fotos:
Vorschaubild, Schopenhauer von Jules Lunteschütz (1822-1893), gemeinfrei
Arthur Schopenhauer als junger Mann, porträtiert 1815 von Ludwig Sigismund Ruhl
Schopenhauer (Im Jahr 1852), gemeinfrei