Rechtzeitig zum Beginn des "Wirtschaftswunders" im Jahr 1948, in dem in den westlichen Besatzungszonen die Reichsmark durch die Deutsche Mark ersetzt wurde, gründete Josef Neckermann (1912-1992) ein nach ihm benanntes Textilunternehmen, aus dem 1950 die in Frankfurt am Main am Danziger Platz angesiedelte Neckermann Versand KG wurde. 1949 war bereits das Unternehmen Otto-Versand gegründet worden. Andere Versandunternehmen wie Quelle und Bader gab es bereits seit den zwanziger Jahren. War der erste Neckermann-Katalog noch recht bescheiden, versuchte das Versandhaus bereits in den fünfziger Jahren die Angebote mit verschiedenen Werbe-Formaten an den Mann und die Frau zu bringen: Es gab besondere Weihnachtsprospekte mit dem Schwerpunkt auf Produkten, die gern zu diesem Fest verschenkt werden, wie Spielzeug. Es gab die Neckermann-Illustrierte mit mehr Text und jeweils den Neuheiten der Saison, und es gab natürlich auch den großen Katalog, der mit der Zeit immer umfangreicher wurde und bald mindestens die Dicke eines städtischen Telefonbuchs erreichte. Der Slogan "Neckermann macht's möglich" war in der Rundfunk-, Fernseh- und Anzeigenwerbung omnipräsent. Später kam zum Versandunternehmen noch das ebenfalls sehr erfolgreiche Neckermann-Reiseunternehmen dazu.
Mit dem Wachstum des Unternehmens war auch ein Wachstum der Bürogebäude verbunden, und für den Entwurf des in den Jahren 1959 und 1960 errichteten und später mehrfach erweiterten Versandzentrums an der Hanauer Landstraße in Frankfurt Fechenheim wurde mit Egon Eiermann (1904-1970) einer der wichtigsten Architekten der Nachkriegsmoderne verpflichtet. Das große, helle, siebengeschossige Gebäude mit der markanten gezackten Fluchttreppe vor der Fassade unterstrich die Bedeutung der Firma, für die es errichtet worden war. Es wurde auf der Grundlage einer Stahlbeton-Skelettkonstruktion gebaut und erstreckt sich in über 300 m Länge an der Hanauer Landstraße. Das Gebäude beherbergte nicht nur die Versandabteilung, sondern auch die Neckermann-Verwaltung. Die oben im Gebäude gelegene Verwaltungsabteilung war - anders als in größeren Bürogebäuden sonst üblich - nicht über Aufzüge, sondern wie auch die Kantine über Rolltreppen erreichbar. Die Kantine war einer der besonders prestigeträchtigen Räume des Firmengebäudes: der Speisesaal war komplett verglast, was für spätere Frankfurter Bürohochhäuser nichts Besonderes war, damals aber innovativ. Die dazugehörige Küche war eine der größten und modernsten Betriebsküchen in Deutschland. Bei der Fassadengestaltung setzte Egon Eiermann unterschiedliche Farben ein: betongrau, blau, weiß und gelb sowie einige rote Akzente wie etwa die Geländer der Nottreppe. Dass der große Neckermann-Schriftzug auf dem Dach auch in der Signalfarbe Rot gestaltet wurde, war kein Zufall. Viel Rot wurde auch für die auffällige Überdachung des Haupteingangs verwendet. Zum ursprünglichen Bauensemble gehörten neben dem Hauptgebäude mehrere Nebengebäude sowie eine Fahrradhalle und Garagen für die Fahrzeuge der Angestellten. Dass es auch eine Kontrollstelle für das Personal gab, in der stichprobenartig überprüft wurde, ob jemand etwa Versandartikel mitgenommen hatte, befremdet heute etwas. Das Gebäude war von Anfang an so konzipiert worden, dass spätere Erweiterungen problemlos möglich waren und diese Möglichkeit wurde auch mehrfach genutzt. 1963 wurde Egon Eiermann von der Jury des „Architectural Forum“ in New York für den Entwurf des Versandzentrums ausgezeichnet. Einen weiteren Preis erhielt er vom hessischen Finanzministerium. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz.
Bereits bevor mit dem zunehmenden Internet-Handel die große Zeit der Versandhäuser ein Ende nahm, geriet das Neckermann-Unternehmen in den siebziger Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Nach mehrfachen Umstrukturierungen musste Neckermann 2012 Insolvenz anmelden. Zunächst übernahm das Konkurrenzunternehmen Otto die Marke Neckermann, stellte sie jedoch 2021 ein. Die ehemalige Neckermann-Zentrale wurde in den vergangenen Jahren denkmalgerecht saniert und wird künftig als Kerngebäude des "Digitalparks Fechenheim" mehrere große Rechenzentren beherbergen. Im Rahmen der Sanierung wurden auch mehrere spätere Anbauten wieder zurückgenommen wie die in den sechziger Jahren vorgenommene Aufstockung um ein siebtes Geschoss.
Adresse
Ehemaliges Neckermann-Versandzentrum
Hugo-Junkers-Straße 5/
Hanauer Landstraße 360
60386 Frankfurt am Main
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Textquellen:
Sir Banister Fletcher’s history of architecture 1866-1953, Oxford/ Boston, 1996.
Frankfurt-Lexikon: Mit einem Stadtplan herausgegeben von Waldemar Kramer, Sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M., 1973.
Pfeiffer-Goldmann, Dennis: Digitalpark in Frankfurt: Das sind die Pläne für die alte Neckermann-Zentrale in: Frankfurter Neue Presse. 29.08.2021 abgerufen von >https://www.fnp.de/frankfurt/frankfurts-alte-neckermann-zentrale-hat-eine-digitale-zukunft-90946723.html< am 16.07.2024.
Darchinger, Josef Heinrich: Wirtschaftswunder: Deutschland nach dem Krieg 1952-1967/ Germany after the war/ l'Allemagne apres la guerre, Hong Kong/ Los Angeles, 2008.
Superbrands: Eine Präsentation der stärksten Marken Deutschlands, London, 2007.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Neckermann_(Versandhandel)< abgerufen am 16.07.2024.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Versandhandel< abgerufen am 16.07.2024.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Egon_Eiermann< abgerufen am 16.07.2024.
>https://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/154796/< abgerufen am 16.07.2024.
Bildquellen:
Vorschaubild: Neckermann haupteingang, 2005, Urheber: Popie via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.
Neckermann frankfurt, 2005, Urheber: Popie via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.