Zwischen den deutlich höheren Bürotürmen und Hotelgebäuden in der Umgebung fällt das Gewerkschaftshaus in der nahe dem Frankfurter Hauptbahnhof gelegenen Wilhelm-Leuschner-Straße im Gutleutviertel zunächst kaum auf. Erst bei genauerem Hinsehen kann man erahnen, dass es deutlich älter ist als die meisten benachbarten Gebäude, die größtenteils aus dem späten 20. und frühen 21. Jahrhundert stammen. Auf Fotos aus der Zeit unmittelbar nach Einweihung des ersten Bauabschnitts im Jahr 1931 wirkt das Gewerkschaftshaus in der damaligen Bürgerstraße zwischen den Gründerzeitbauten in der Nachbarschaft, von denen heute nur noch wenige erhalten sind, dagegen nicht unauffällig, sondern wie aus der Zukunft an seinen Platz versetzt. Es war nach dem IG-Farben-Gebäude das erste Hochhaus der heute an Hochhäusern so reichen Stadt.
Außerdem war es eines der ersten Gewerkschaftshäuser in Deutschland. Größere Gebäude für die örtlichen Gewerkschaften gab es erst seit dem Ende des Ersten Weltkriegs, was seine Ursache darin hatte, dass es vorher viele kleine Gewerkschaften gab, deren Funktionäre sich auch in Privatwohnungen oder Restaurants treffen konnten. Der Plan, in dem einst idyllischen Villenviertel am Main einen geräumigen Versammlungs- und Arbeitsort für die Frankfurter Gewerkschaften zu schaffen, entstand in den Zwanziger Jahren. Zuvor hatte es in Frankfurt bereits ein wesentlich kleineres Gewerkschaftshaus an der Ecke der Allerheiligenstraße und Stoltzestraße gegeben. 1929 schrieb der Deutsche Gewerkschaftsbund einen Architekturwettbewerb aus und im Anschluss, weil es keinen klaren Gewinner gab, erneut einen Wettbewerb, an dem nur die Erstplatzierten teilnehmen durften. Den Auftrag, das Haus zu entwerfen, erhielten schließlich Max Taut (1884-1967) und Franz Hoffmann (1884-1951), die gemeinsam mit Max' Bruder Bruno Taut (1880-1938) ein Architekturbüro in Berlin unterhielten und bereits das Gewerkschaftshaus in Berlin erbaut hatten.
Im ersten Bauabschnitt wurde von 1930 bis 1931 auf einem T-förmigen Grundriss das Bürogebäude in der Wilhelm Leuschner-Straße errichtet. Es besteht aus einem niedrigen waagerechten Stahlbetonskelettbau, aus dem in der Mitte ein hoher, neungeschossiger Bau in der gleichen Bauweise emporragt. Nach einer erstaunlich kurzen Bauzeit von nur elf Monaten konnte das Gebäude bereits bezogen werden. Neben dem Bürohaus gehörten nach dem ursprünglichen Entwurf ein Saalbau und ein zum Main gelegenes Hotel zum Gebäudeensemble. Der Architekt und Architekturpublizist Adolf Behne (1885-1948), ein Vertreter der architektonischen Avantgarde, war jedenfalls von dem neuen Gebäude begeistert: "Die Stadt Frankfurt hat hier einen Bau, der in Konstruktion und Formensprache unzweifelhaft modern ist" schrieb er in einem Aufsatz für "Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau" und "immer wieder darf man feststellen: ein feines Gefühl für Maß und Proportion weicht jeder falschen Monumentalität sicher und überlegen aus." Weniger begeistert als Behne waren offenbar die Anwohner des Viertels, denn der Neubau zog ein Gerichtsverfahren nach sich, das zwar zugunsten der Bauherren ausging, jedoch dazu führte, dass das geplante Hotel nicht in Betrieb genommen werden konnte.
Bei der Gestaltung der Büroräume wurde - was damals noch neu war - der Fokus auf eine ergonomische Gestaltung gelegt. Die Büros sollten je nach den Bedürfnissen ihrer Nutzer und Nutzerinnen flexibel umgestaltet werden können, und es wurde außerdem Wert auf eine gute Beleuchtung gelegt. Die Architekten gaben darüber die von Behne in seinem Aufsatz wiedergegebene Auskunft, dass der Schreibtisch als Norm für die Bürogestaltung galt und "in feste Beziehung zu seiner Lichtquelle, dem Fenster, zu setzen" war. "Für einen Schreibtisch wurden zwei Fenster, für zwei Schreibtische drei Fenster usw. bestimmt. Daraus erklärt sich die Achsenweite der Eisenbetonrahmen von 6,25 m, die vier Fenster umfaßt."
Auch dass das Gebäude mit zahlreichen Telefonanschlüssen ausgestattet worden war, galt zur Bauzeit noch nicht als Selbstverständlichkeit. Jeder Telefonanschluss besaß einen eigenen Zähler. Nicht zuletzt war neu, dass es in jedem Stockwerk Möglichkeiten zur Müllentsorgung gab. Mülltrennung gab es freilich noch nicht. In den Kellerräumen befanden sich unter anderem die Garagen. Sie waren anders als heute vor allem für Fahrräder vorgesehen. Für Autos gab es dagegen nur acht Stellplätze. Geheizt wurde mit Zentralheizung. In die verschiedenen Etagen kam man nicht nur über das Treppenhaus, sondern auch über einen Aufzug. Während bei der Gestaltung des Gebäudes weitgehend auf besondere Schmuckelemente verzichtet wurde, verfügte der Eingang über keramikverkleidete Stützen und einem ebenso verkleidetes Vordach als Schmuck.
Nach dem Verbot der freien Gewerkschaften während der Nazizeit wurde das Gewerkschaftshaus zum Frankfurter Sitz der "Deutschen Arbeitsfront". Die geplante Veränderung und Erweiterung des Bauensembles wurde nicht verwirklicht. Seit 1946 konnte das Gebäude wieder von den freien Gewerkschaften genutzt werden. Heute sind im inzwischen denkmalgeschützten Gewerkschaftshaus der Deutsche Gewerkschaftsbund Hessen-Thüringen und Region Frankfurt-Rhein-Main und ver.di Bezirk Frankfurt am Main und Region ansässig.
Adresse:
Wilhelm-Leuschner-Straße 69-77
60329 Frankfurt am Main#
*****
Textquellen:
Behne, Adolf: Max Taut's Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau, 15. Jg., 11/12. November/Dezember 1931, S. 481-484.
Frankfurt-Lexikon: Mit einem Stadtplan, Waldemar Kramer (Hrsg.), sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M.,1973.
Joedicke, Jürgen: Konstruktion und Form: Eine Untersuchung des Bauens von 1895 bis 1933 in Deutschland, Stuttgart: Dissing, 1953 [masch.]
>https://de.wikipedia.org/wiki/Gewerkschaftshaus_(Frankfurt_am_Main)< abgerufen am 20.02.2021.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Taut< abgerufen am 20.02.2021.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Behne< abgerufen am 20.02.2021.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Hoffmann_(Architekt,_1884)< abgerufen am 20.02.2021.
>https://www.skylineatlas.de/portfolios/gewerkschaftshaus/< abgerufen am 20.2.2021.
Bildquellen:
Vorschaubild: Gewerkschaftshaus vor dem modernen Main Forum, dem Hauptsitz der IG Metall, 2013, Urheber: Epizentrum via Wikimedia Commons CC BY 3.0.
Gewerkschaftshaus von 1931, 2005, Urheber: Sebastian Kasten via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.