Ein Bulle und ein Bär - seit 1985 stehen sie auf dem Frankfurter Börsenplatz, ein Werk des in Frankfurt geborenen Tierbildhauers Reinhard Dachlauer (1922-1995). Der Bulle steht für steigende Börsenkurse, der Bär für fallende, analog zu den Begriffen Bullen- und Bärenmarkt. Die Skulpturen befinden sich vor dem von den zu ihrer Zeit sehr bekannten Frankfurter Architekten Rudolf Heinrich Burnitz (1827-1880) und Oskar Sommer (1840-1894) entworfenen Börsengebäude, einem imposanten Neorenaissancebau, der im Jahre 1879 fertiggestellt wurde. Dieser Bau wird zwar noch von der Börse genutzt (und auch von der Frankfurter IHK), ist aber nicht mehr ihr Hauptsitz, nachdem dieser im Jahre 2000 zunächst in den Industriehof im Stadtteil Bockenheim, dann aber schon wenige Jahre später nach Eschborn unweit der Stadtgrenzen Frankfurts verlegt worden ist. Dem entsprachen diverse Umorganisationen und Umfirmierungen: 1990 wurde die Frankfurter Wertpapierbörse AG gegründet, 1992 entstand daraus die Deutsche Börse AG. Immerhin ist in dem Gebäude von 1879 noch der Alte Handelssaal vorhanden. 2006-2007 wurde der Saal restauriert. Die Zeiten, zu denen die Börsenaktivität mit dem dort abgehaltenen Parketthandel gleichbedeutend war, sind allerdings nach der Einführung einer Xetra (exchange electronic trading) genannten elektronischen Handelsplattform vorbei. Insofern kann man mit einem Blick von der Galerie des Frankfurter Börsensaales nur noch einen Ausschnitt der Börsentätigkeit erfassen. Dass Viele immer noch den Börsensaal mit der Gesamttätigkeit der Börse identifizieren, liegt nicht zuletzt daran, dass dieser eine dankbare Kulisse für die Börsenberichterstattung im Fernsehen bildet.
Die Ursprünge der Börse in Frankfurt haben mit dem Status der Stadt als Handelsplatz zu tun. Wegen seiner verkehrsgünstigen Lage war Frankfurt schon im Mittelalter eine Messestadt. Aufgrund der Präsenz vieler auswärtiger Besucher kursierten viele unterschiedliche Münzsorten - allein im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation gab es eine Vielzahl an Währungen, aber auch aus dem nichtdeutschen europäischen Ausland kamen viele Kaufleute nach Frankfurt. Es bestand daher die Notwendigkeit, Kurse festzusetzen. Dies geschah bei der Herbstmesse 1585 durch eine Versammlung von Kaufleuten. Diese Versammlung wurde dann institutionalisiert. Das Jahr 1585 wird deshalb gemeinhin als Gründungsjahr der Frankfurter Börse angesehen. Im Folgenden entwickelte sich die "Burß" - der Begriff ist erstmals für 1605 belegt - rasant, was u. a. auch daran lag, dass 1585 Antwerpen, das bis dahin ein Börsenplatz gewesen war, im Achtzigjährigen Krieg von den Spaniern erobert wurde, was flämische Kaufleute dazu veranlasste, nach Frankfurt zu fliehen und dort entsprechende Geschäfte aufzunehmen. Auch der Begriff "Börse" stammt aus Flandern - auf dem Platz "ter buerse" in Brügge, der nach der Gastwirtsfamilie van der Beurse benannt war, hatten sich seit dem 15. Jahrhundert ebenfalls Händler versammelt. ("bursa" ist zudem ein lateinischer Ausdruck für Tasche oder Geldbörse.)
Die Börsenversammlungen fanden gut hundert Jahre lang vor dem Römer, dem Frankfurter Rathaus, statt, ein festes Domizil - jenseits der Römerhalle im Erdgeschoss des Römers, in die die Versammlung bei schlechtem Wetter verlegt wurde - hatte die Börse erst ab 1694 mit der Verlegung in das Haus "Großer Braunfels" am Liebfrauenberg, das heute nicht mehr existiert. Bereits 1682 hatte man eine erste Börsenordnung erlassen.
An der Börse waren zunächst nur Münzen und Wechselbriefe gehandelt worden; Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Handel auf Schuldscheine und Anleihen ausgedehnt. Das war auch für Anleger interessant. 1779 gab das Bankhaus Bethmann "Partialobligationen" aus, um eine Millionenanleihe für den Kaiser in Wien zu finanzieren; die Erwerber wurden an den Zinsen, die dieser zu entrichten hatte, beteiligt. Nach diesem Prinzip finanzierten Frankfurter Banken weitere Anleihen, die dadurch wesentlich höhere Summen umfassen konnten. Durch die mit der französischen Revolution verbundenen Kriege wurde der Börsenhandel zwar vorübergehend beeinträchtigt, jedoch nicht dauerhaft beschädigt. 1808 wurde die Frankfurter Handelskammer gegründet, die Börse wurde einem Ausschuss derselben zugeordnet und wurde damit von einer privaten Institution zu einer öffentlichen. 1820 wurde an der Frankfurter Börse die erste Aktie gehandelt - ausgegeben von der Österreichischen Nationalbank. 1835 wurde ein Konsortium zum Bau der Taunus-Eisenbahn (der 1839/40 eröffneten Bahnstrecke von Frankfurt nach Wiesbaden) gegründet und dieser mittels Ausgabe von Aktien über die Börse finanziert.
Mit dem Ende der Unabhängigkeit Frankfurts 1866 und der Gründung des Deutschen Reiches 1871 änderten sich die Zeiten. Dies bedingte - obwohl nun Berlin eine Börsenkonkurrenz für Frankfurt wurde - auch eine Ausweitung der Börsenaktivitäten, die das Gebäude am Paulsplatz zu klein werden ließ. 1874 wurde deshalb mit dem Bau der dann 1879 eröffneten Neuen Börse begonnen.
In der Folge konnte Frankfurt seine Position gegenüber Berlin behaupten, indem es sich auf die Unternehmensfinanzierung mittels Aktien konzentrierte und dabei im Gegensatz zu Berlin vor allem den süddeutschen Bereich bediente. 1896 schuf das Börsengesetz dann einheitliche Rechtsgrundlagen für alle Börsen im Reich. Die beiden Weltkriege führten zu schweren Beeinträchtigungen bzw. Unterbrechungen der Börsentätigkeit, diese erholte sich dann jedoch schnell. 1988 wurde der Deutsche Aktienindex (DAX) gegründet, 1997 die schon erwähnte elektronische Handelsplattform Xetra eingeführt. Die Deutsche Börse, eine der führenden Wertpapierbörsen der Welt, ist heute nicht nur mehr als Organisatorin eines Marktplatzes für den Aktienhandel tätig, sondern auch als Dienstleisterin für Wertpapiermärkte, teils mittels Tochterunternehmen.
Wer als Besucher nach Frankfurt kommt, sieht von diesen Aktivitäten nicht viel, sondern mit dem wilhelminischen Börsengebäude lediglich einen Bau, der mehr der Repräsentation als der Haupttätigkeit der Börse dient. Ein Besuch dort lohnt sich dennoch.
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Textquellen:
Dietz, Alexander: Frankfurter Handelsgeschichte, Frankfurt am Main 1910–1925, Reprint, Glashütten: Verlag Detlev Auvermann, 1970-1974 (5 Bände).
Baehring, Bernd: Börsen-Zeiten. Frankfurt in vier Jahrhunderten zwischen Antwerpen, Wien, New York und Berlin. Selbstverlag der Frankfurter Wertpapierbörse, Frankfurt am Main, 1985.
Website der Frankfurter Börse: abgerufen von >https://www.boerse-frankfurt.de/< am 30.05.2021.
FAZ-Bericht zu Renovierungsprojekt bezüglich des Gebäudes am Börsenplatz: abgerufen von >https://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/neues-boersengebaeude-deutsche-boerse-investiert-am-standort-frankfurt-15423254.html< am 30.05.2021.
Bildquellen:
Vorschaubild: rankfurt-am-main-stadtzentrum-1029316, 2015, Urheber: Peggy_Marco via Pixabay CCO.
börse-bulle-aktien-finanzen-stier-4083216, 2019, Urheber: pdz51 via Pixabay CCO.
Alte Börse Frankfurt, ca. 1845, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Innenraum der Alten Börse, 1845, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.