Während es in Frankfurt heute in jedem Stadtviertel eine Vielzahl von Apotheken gibt - ihre Zahl nahm mit jedem Ausbau der Stadt seit dem 17. Jahrhundert stetig zu - bestanden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lediglich vier: Die damals noch unter dem Namen "Johannisapotheke" firmierende älteste Apotheke im Haus zum Steinmetz neben der Domschule, die später in Hirschapotheke umbenannt wurde, aus dem Jahr 1462, die Schwanenapotheke von 1502, die Apotheke zum goldnen Haupt und schließlich die Apotheke „zur klainen Prußerey“. Eine dieser Apotheken, die Johannisapotheke und spätere Hirschapotheke (auch: „Zum goldnen Hirschen“ genannt), besteht bis heute und nicht nur das: sie nahm in neuerer Zeit eine für Apotheken ungewöhnliche Entwicklung.
Der erste Apotheker, der in der Hirschapotheke tätig war, Johannes von Steinheim, war erst in ihrem Gründungsjahr Frankfurter Bürger geworden. Seine Nachfolger, die im Laufe der Jahrhunderte die Hirschapotheke leiteten, gehörten wie er zur besseren Frankfurter Gesellschaft.
Einer von ihnen, Martin Müller, wird im Jahr 1628 sogar als Mitglied der angesehenen Frankfurter Patriziergesellschaft Frauenstein genannt. Bereits im 19. Jahrhundert war in der Hirschapotheke eine Frau tätig. „Christoph Heinrich Conrad Meyer’s Wittwe“ führte nach dem „Staats- und Adress-Handbuch der Freien Stadt Frankfurt“ aus dem Jahr 1855 die Apotheke nach dem Tod ihres Mannes weiter, eine Praxis, die vor allem von Buchdruckereien bekannt ist. 1805, als die Apotheke noch von der Familie ihres Mannes geführt wurde, machte der bekannte Wissenschaftler, Arzt und Erfinder Samuel Thomas von Soemmering (1755-1830), der nach der Schließung der Mainzer Universität in Frankfurt als Arzt tätig war, in den „Frag- und Anzeigungs-Nachrichten“ Werbung für eine in der Hirschapotheke erhältliche Arznei, die Schutz vor ansteckenden Krankheiten versprach:
„Henry’s Gewürz-Essig (Aromatic Spirit of Vinegar) den man zu London als das beste Schutzmittel gegen pestartige Krankheiten, besonders das gelbe Fieber, zu einem ungeheuren Preis verkauft, wird, nach meiner auf hinreichende Proben sich gründenden Ueberzeugung von gleicher Reinheit und Güte verfertigt zu Frankfurt am Main von Herrn Meyer, Apotheker zum goldenen Hirsch auf der Zeil. Ich halte es daher für meine Pflicht, dieses bekanntzu [!] machen. S. Th. Sömmering.“
Im Jahr 1791 hatte die Apotheke nach mehreren Jahrhunderten ihren Standort gewechselt und war aus dem verwinkelten mittelalterlichen Stadtzentrum in ein spätbarockes Gebäude an der damals immer mehr zur Prachtstraße ausgebauten Zeil verlegt worden. Dort, im Zentrum der heutigen Frankfurter Fußgängerzone, befindet sich die Apotheke, wenn auch in einem modernen Gebäude der Nachkriegszeit, immer noch. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ging die Hirschapotheke in den Besitz der Familie Fresenius über. 1912 gründete Eduard Fresenius (1874-1946) darüber hinaus das Pharmaunternehmen „Dr. Eduard Fresenius chemisch-pharmazeutische Industrie KG“, das in größerem Stil Arzneien wie Salben und medizinische Lösungen herstellte und seinen Sitz zunächst im Hinterhaus der Apotheke hatte. Die Apotheke mit angeschlossenem pharmazeutischen Unternehmen bot ihren Kunden schon früh innovative Dienstleistungen an wie beispielsweise bereits in den Zehner-Jahren des 20. Jahrhunderts einen Lieferservice per Auto. Sogar eine frühe Apothekenzeitschrift informierte die Kundinnen und Kunden über Medikamente und Gesundheitsthemen. Das im Hinterhaus ansässige Pharmaunternehmen kooperierte schon früh mit prominenten Medizinern und erlangte dadurch zunehmende Bekanntheit.
1933/34 kam es zur räumlichen Trennung von Apotheke und Pharmaunternehmen. Die Apotheke blieb an ihrem bisherigen Standort an der Zeil mit der leicht zu erinnernden Adresse Nr. 111, während das Pharmaunternehmen in das nahe Bad Homburg umzog. Im Zweiten Weltkrieg wurde das alte Apothekengebäude an der Zeil bei einem Bombenangriff zerstört. An seine Stelle trat zunächst ein einfaches Behelfsgebäude ohne Stockwerke, wie es im Frankfurt der Nachkriegszeit zahlreiche gab. Erst Ende der 50er Jahre wurde das Behelfsgebäude durch ein mehrstöckiges Wohn- und Geschäftshaus ersetzt. Nach dem Tod von Eduard Fresenius übernahm seine Ziehtochter, Else Fernau (1925–1988), die damals noch Pharmazie studierte, sowohl die Apotheke als auch das Pharmaunternehmen. Später gab sie die Leitung der Apotheke ab und entwickelte gemeinsam mit Hans Kröner, den sie 1964 heiratete, ausschließlich das Pharmaunternehmen weiter. Unter anderem begannen Ilse und Hans Kröner mit dem Import und der Weiterentwicklung von Dialysegeräten. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Unternehmen stetig vergrößert und entwickelte sich zum heutigen Weltkonzern.
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Textquellen:
Auszüge der Frag- und Anzeigungs-Nachrichten (des Intelligenz-Blattes) von ihrer Entstehung an im Jahre 1722-1821, Gesammelt, geordnet und den Bürgern dieser Stadt gewidmet von Maria Belli, geb. Gontard, Erster Band, Vom Jahre 1722 bis 1731, Frankfurt a. M., 1850.
Frankfurt-Lexikon: Mit einem Stadtplan herausgegeben von Waldemar Kramer, Sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M., 1973.
Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main, von Johann Georg Batton; Aus dessen Nachlasse herausgegeben von dem Vereine für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M. durch den zeitigen Director desselben Dr. jur. L. H. Euler, Drittes Heft, Beschreibung der Altstadt und zwar des südlichen und westlichen Theils der Oberstadt enthaltend, Frankfurt a. M., 1864.
Staats- und Adress-Handbuch der Freien Stadt Frankfurt, Frankfurt a. M., 1855,
Stricker, Wilhelm Friedrich Karl: Die Geschichte der Heilkunde und der verwandten Wissenschaften in der Stadt Frankfurt am Main, Nach den Quellen bearbeitet, Frankfurt am Main, 1847.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Fresenius_(Unternehmen)< abgerufen am 29.12.2020.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Fresenius< abgerufen am 29.12.2020.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Else_Kr%C3%B6ner< abgerufen am 29.12.2020.
>https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Thomas_von_Soemmerring< abgerufen am 29.12.2020.
>https://www.zeil-111.de/zeil-111/historie/< abgerufen am 29.12.2020.
>https://www.fresenius.de/von-der-apotheke-zum-gesundheitskonzern< abgerufen am 29.12.2020.
Bildquellen:
Vorschaubild: Die Hirsch-Apotheke, 1912, Quelle: Fresenius AG via Wikimedia Commons public domain.
Steinernes Haus, Aquarell von Carl Theodor Reiffenstein, 1845 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Farbbild der Fassaden der Häuser Frauenstein (links), zwischen 1896 und 1900 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Apotheke (Darstellung von 1508), Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Inneres einer historischen Apotheke, 2011, Urheber: Goździkowa via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.