Kaiserdom St. Bartholomäus
Karl Wilhelm Ferdinand Enslin
Karl Enslin beschreibt in seinem "Frankfurter Sagenbuch" die Baugeschichte und das Aussehen des Kaiserdoms bis 1861.
Der Dom oder die St. Bartholomäuskirche in Frankfurt am Main ist diejenige Kirche, worin einst die deutschen Kaiser gewählt und gekrönt wurden.
An der Stelle, wo sie steht, soll früher eine von Karl dem Großen erbaute Marienkapelle gestanden haben. Die später daselbst errichtete Kirche nannte Karl der Dicke Salvatorkirche. Im Jahr 1238 ward dieser Kirche die Hirnschale des heiligen Bartholomäus geschenkt - wovon sie denn bis heute noch die Bartholomäuskirche heißt.
Der 260 Fuß hohe Thurm, der Pfarrthurm, ist weithin sichtbar, über die ganze Landschaft erhaben, und gibt der Stadt von Weitem ihr bestimmtes Aussehen und eigenthümliches Gepräge.
Er ist, gleich andern Münstern, in gothischem Styl erbaut, jedoch auch, gleich andern Münstern, nicht ausgebaut. Er hatte eine Spitze bekommen sollen, wie der Straßburger oder Freiburger Münster; weswegen dieses aber nicht geschah, darüber gehen folgende Sagen:
Der Baumeister des Pfarrthurmes und der Baumeister der Sachsenhäuser Brücke wetteten mit einander um eine hohe Summe, wer sein Bauwerk zuerst fertig bringe. Der Brückenbaumeister aber war fertig, als der Thurmbaumeister erst so weit gelangt war, wie der Thurm gegenwärtig noch in die Höhe ragt. Da nun der Thurmbaumeister nicht so viel Geld hatte, die verlorene Wette zu bezahlen, stürzte er sich aus Verzweiflung und Scham von dem Thurme herunter - woraufhin dieser nicht mehr fertig gebaut werden konnte.
Gleich einer runden, fest über den Kopf gezogenen Kappe, oder auch gleich einem einfachen Heim, ist die obere Thurmkuppel anzusehen, so daß man fast an die Hirnschale des heiligen Bartholomäus erinnert wird, der zu Ehren dem Thurm die runde Kappe aufgesetzt sein möchte.
Obwohl Maximilian II. der erste deutsche Kaiser war, welcher 1562 in Frankfurt gekrönt wurde, so sagt man doch, daß, als im Jahr 1512 der Thurm so weit gediehen war, daß nur noch die Schlußpyramide aufzusetzen gewesen wäre, man mit dem Bau eingehalten habe, in der Vorahnung der hohen Bestimmung dieser Kirche. Denn weil es einmal die Krönungskirche sein solle, müsse sie doch auch gekrönt sein.
Und anstatt der spitzen, schlanken Schlußpyramide, setzt man dem massenhaften Thurmkoloß die Kaiserkappe des heiligen römisch-deutschen Reichs auf, die er denn auch noch trägt, und auch im Jahre 1806 nicht heruntergenommen hat, als das deutsche Reich zusammenbrach.
Erst im Jahre 1848, in dem es etwas lebhaft herging im deutschen Reich und namentlich in der freien Stadt am Main, ward der alten Krönungskirche eine Schlußpyramide gegönnt, aber nicht der gotische Aufsatz, der ihr Anno dazumal zugedacht war, sondern in allermodernstem Style.
Auf die Domkappe wurde nämlich eine riesige gläserne Laterne gesetzt, worin mehrere Menschen Platz haben, und die dazu bestimmt war, bei Aufruhr, Krawall oder dergleichen, Feuersignale in die Ferne zu geben.
Sie steht noch und gibt dem Thurmkoloß weithin ein ganz anderes Aussehen.
In der Taufe erhielt sie den Namen: Reichslaterne.
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Text aus: Karl Enslin: Frankfurter Sagenbuch. Sagen und sagenhafte Geschichten aus Frankfurt am Main. Neue Ausgabe. Frankfurt a. M., H. L. Brönner 1861, S. 82 ff.
Fotos: © Anna Hein
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