Frankfurt-Lese

Gehe zu Navigation | Seiteninhalt
Frankfurt-Lese
Unser Leseangebot

Ina Herrmann-Stietz

Seelenimpressionen

Leicht und spielerisch, aber auch selbstkritisch und Hilfe suchend sind die Verse dieses Lyrikbändchens. Ina Herrmann-Stietz teilt mit ihren Lesern Stimmungen und Ereignisse, Zweifel und Sinnsuche. Wie paradox, das sich der Leser in ihren persönlichen Erfahrungen selbst wiederfindet. Er kehrt zurück ins Land seiner Seele, seiner innersten Träume, kann dort Kraft schöpfen und mit erwachten Hoffnungen wieder ins Leben starten.

Die Kaisertreppe im Römer

Die Kaisertreppe im Römer

Sabine Gruber

Orte aufzusuchen, die der Mehrheit der Mitmenschen verschlossen sind, ist meistens verlockender als die jedem zugänglichen Orte zu besuchen. Solche Besichtigungen vermitteln das prickelnde Gefühl der Exklusivität, des Geheimnisvollen, ja vielleicht sogar des Verbotenen. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn es sich um Orte handelt, die sonst nur von prominenten Persönlichkeiten betreten werden dürfen. Man kann sich also gut vorstellen, wie es Goethe während seiner Kindheit erging, wenn er sich mit Hilfe von Aufsehern, die er kannte, Zugang zur neuen Kaisertreppe im Frankfurter Römer verschaffte. Vermutlich interessierte ihn die 1741, wenige Jahre vor seiner Geburt, im neuesten architektonischen Stil errichtete neue Kaisertreppe im Frankfurter Römer nicht nur wegen ihrer Architektur und der Gemälde im Treppenhaus, sondern auch weil sie eigentlich dem Kaiser und seinem Umfeld und besonderen Gelegenheiten vorbehalten war.

"Waren wir einmal im Römer," berichtete er, "so mischten wir uns auch wohl in das Gedränge vor den burgemeisterlichen Audienzen. Aber größeren Reiz hatte alles, was sich auf Wahl und Krönung der Kaiser bezog. Wir wußten uns die Gunst der Schließer zu verschaffen, um die neue, heitre, in Fresko gemalte, sonst durch ein Gitter verschlossene Kaisertreppe hinaufsteigen zu dürfen. Das mit Purpurtapeten und wunderlich verschnörkelten Goldleisten verzierte Wahlzimmer flößte uns Ehrfurcht ein." Einmal eine Kaiserkrönung mit eigenen Augen zu erleben, war allerdings etwas noch Verlockenderes für den jungen Goethe. Immerhin konnte er mit knapp fünfzehn Jahren im April 1764 die Festlichkeiten zur Krönung Josephs II. (1741–1790) zum römisch-deutschen König bestaunen.

Die neue Kaisertreppe ersetzte vor der Krönung Kaiser Karls VII. (1697–1745) im Jahr 1741 die ungünstig gelegene und wenig komfortable, an der Innenseite der Nordmauer des Römerbaus entlanglaufende alte Kaisertreppe. Während die alte Kaisertreppe direkt in den Kaisersaal einmündete, führte die neue Kaisertreppe zum Vorplatz des Saals. Man gelangte durch ein repräsentatives Barockportal zu ihr, das ursprünglich mit dem von Goethe erwähnten Gitter verschlossen war. Spätere Fotografien zeigen das Gitter nicht mehr. Wie das abschließende Gitter war auch das Treppengeländer mit kunstvollen Schmiedearbeiten ausgestattet. An der Ausstattung besonders hervorzuheben war das große Deckengemälde, das kurz nach der Fertigstellung der Treppe in wenigen Monaten von dem Tessiner Maler und Architekten Giovanni Battista Innocenzo Colombo (1717–1801) gemalt worden war. Hermann Taut schrieb darüber in seinem Werk "Der Römer und Die Neuen Rathausbauten in Frankfurt am Main" von 1908, es zeige "den maßlosen Allegorien- und Formentaumel der damaligen Geschmacksrichtung und zugleich die meisterhafte Geschicklichkeit des Künstlers, gewaltige Anhäufungen von Figuren durch geschickte Verteilung heller und dunkler Massen auseinanderzuhalten." Das von einem Barocksims in Trompe-l'œil Malerei begrenzte Bild zeigte die Verherrlichung der Tugend und den Sturz von Untugenden sowie Personifikationen der Weltteile und der Jahreszeiten sowie Gestalten der antiken Mythologie. Auch die anderen Malereien im Treppenhaus stammten von dem damals noch am Anfang seiner Karriere stehenden Colombo. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass auch das Treppenhaus in Goethes Elternhaus, nach dessen Umbau in den Jahren 1755 und 1756, der Kaisertreppe nachempfunden worden war. Die Frankfurter Bürger waren zwar stolz auf ihren nichtadeligen Status, ließen sich in Gestaltungsfragen aber doch gern durch den Adel inspirieren.

Weil sich während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Kunstgeschmack stark veränderte, wurden die mythologischen Malereien Colombos bereits wenige Jahrzehnte nach ihrer Entstehung als anachronistisch empfunden und 1790 einfach mit weißer Farbe übertüncht, eine Praxis, die auch in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder angewandt wurde, wenn Wandgemälde als zu überladen empfunden wurden. Im Zuge des Historismus besann man sich gut hundert Jahre später aber eines Besseren und stellte bei einer Renovierung des Römers im Jahr 1885 die Gemälde Colombos wieder her. Darüber hinaus wurden damals die Treppenstufen und das Geländer restauriert. Die Kaisertreppe wurde zwar wie der darüber gelegene Kaisersaal und das Kurfürstenzimmer des Römers im Zweiten Weltkrieg zerstört, das Rokokoportal aus dem Jahr 1741 blieb aber erhalten und kann in den Römerhallen noch immer besichtigt werden.

 

*****

Textquellen

Frankfurt-Lexikon: Mit einem Stadtplan herausgegeben von Waldemar Kramer, Sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M., 1973.

Frankfurt-Lexikon: Mit einem Stadtplan herausgegeben von Waldemar Kramer, Sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M., 1973.

Goethe-Handbuch in vier Bänden, Bd. 4/1. Personen, Sachen, Begriffe: A-K., Hrsg. von Hans-Dietrich Danke und Regine Otto, Stuttgart/Weimar, 1998.

Goethes Werke: Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band IX, Autobiographische Schriften I, Hamburg, 1967.

Richter, Otto Donner von: Die Malerfamilie Fyoll und der Römerbau in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 3. Folge, 1896, S. 55-130.

Taut, Hermann: Der Römer und Die Neuen Rathausbauten in Frankfurt am Main, Frankfurt a. M., 1908.

>https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mer_(Frankfurt_am_Main)< abgerufen am 03.02.2023.

>https://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Battista_Innocenzo_Colombo< abgerufen am 03.02.2023.

 

Bildquellen:

Vorschaubild: Kaiserstiege, 1742, Urheber: Michael Rößler via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

 

Weitere Beiträge dieser Rubrik

Dippemess
von Sabrina Ingerl
MEHR
Die Töngesgasse
von Sabine Gruber
MEHR
Werbung
Unsere Website benutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung unserer Inhalte stimmen Sie der Verwendung zu. Akzeptieren Weitere Informationen