Das vielleicht wichtigste Wahrzeichen des Stadtteils Ginnheim, der Ginnemer Schbaschl (Ginnheimer Spargel), ein Fernsehturm, der amtlich Europaturm heißt, liegt gar nicht in Ginnheim, sondern im benachbarten Bockenheim. Der verbreitete Irrtum über den Standort kommt zustande, weil viele eine Autobahn, die den "Spargel" vom Rest Bockenheims trennt, fälschlicherweise für die Grenze zwischen Ginnheim und Bockenheim halten. Die meisten Bauten im Stadtteil sind im Vergleich zum "Spargel" unscheinbar. Das gilt aber nur auf den ersten Blick, denn gerade für Architekturliebhaber ist Ginnheim von besonderem Interesse.
In der Ludwig-Tieck-Straße 11 steht die Villa May, das private Wohnhaus des Stadtbaurats Ernst May (1886-1970), der in seinen fünf Frankfurter Jahren (1925-1930) die Stadt vielleicht mehr verändert hat als irgendjemand sonst. Das unter seiner Leitung stehende Bauprogramm "Neues Frankfurt" war neben dem Bauhaus das bedeutendste Laboratorium neuen Bauens in Deutschland. Die 1925 erbaute Villa ist das erste im Stil der Moderne errichtete bürgerliche Wohnhaus in Frankfurt. Der zweigeschossige kubische Bau verfügt über ein ungewöhnlich großes, um die Ecke geführtes Fenster zum Garten. Der zentrale Raum ist ein geschossübergreifendes Wohnzimmer mit Empore. Nachträgliche Umbauten haben den Bau leider teilweise zum Negativen verändert. Seine Privatvilla hatte in Ginnheim (Höhenblick 37) auch der Architekt Martin Elsaesser (1884-1957). Er war von May nach Frankfurt geholt worden, um am "Neuen Frankfurt" mitzuwirken und ist in Frankfurt u. a. durch Kirchenbauten präsent; auch die mittlerweile in Teilen dem Neubau der Europäischen Zentralbank zum Opfer gefallene Frankfurter Großmarkthalle ist sein Werk. (Ein zeitgenössischer Spruch lautete: "Alles neu macht der May – alles besser Elsaesser".) Elsaessers Villa wurde 1925/26 erbaut, also nahezu zeitgleich mit der Mays. Sie liegt am Ende der Straße und bildete den Abschluss der Bebauung zum Niddatal hin. Anders als Mays Villa ist Elsaessers Wohnhaus nicht strikt an den Ideen modernen Bauens orientiert, sondern zeigt expressionistische Einflüsse; die Klinkerfassade entspricht ebenfalls nicht dem damaligen Ideal.
Auch eine der über ganz Frankfurt verteilten Siedlungen des "Neuen Frankfurt" steht in Ginnheim: die 1926/27 erbaute Siedlung Höhenblick. Sie besteht aus am Ginnheimer Hang oberhalb des Niddaufers gelegenen dreigeschossigen Reihenhauszeilen an den eine Kreuzung bildenden Straßen Höhenblick und Fuchshohl. Die 100 Wohneinheiten sollten durch eine weitergehende Bebauung des Ginnheimer Hangs ergänzt werden, wozu es aber nicht kam. Die Siedlung Höhenblick stellt eine der frühesten Siedlungen im Rahmen des "Neuen Frankfurt" dar, ist aber deutlich kleiner als manch andere der in dessen Rahmen entstandenen Siedlungen. Mit relativ großzügigen Wohnungsgrößen, hochwertigen Baumaterialien und der schönen Aussicht am Hang war sie für gehobene Wohnansprüche vorgesehen
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Ginnheim weitere Bauprojekte, die architektonisch allerdings nicht an die Qualität der Siedlung Höhenblick heranreichen. Dabei handelt es sich vor allem um "Housing Areas" der amerikanischen Streitkräfte wie die Friedrich-Wilhelm-von-Steuben-Siedlung zwischen Hügelstraße und Raimundstraße. Heute sind die Wohnungen hier vermietet. 1989 fand in Ginnheim eine politisch umstrittene Bundesgartenschau statt, deren Terrain heute das Niddapark-Gelände bildet; der Volkspark Niddatal erstreckt sich zwischen Ginnheim, Praunheim und Hausen. Die Grenzen des etwa 3 km nordwestlich des Frankfurter Stadtzentrums gelegenen Stadtteils sind nach Eschersheim und zum Dornbusch hin, der bis 1946 in Teilen zu Ginnheim gehörte, aufgrund der durchgehenden Bebauung nicht ohne weiteres zu erkennen. Ginnheim, das heute (Stand Ende 2019) 16.664 Einwohner hat, grenzt außerdem - durch Grünzonen getrennt - an Hausen und Praunheim sowie an das auf der anderen Seite der Nidda gelegene Heddernheim
Auch wenn Ginnheim heute in erster Linie den Charakter eines großstädtischen Stadtteils hat, sind seine Ursprünge dörflich. Nachdem es auf seinem Territorium schon in der Bronzezeit eine Besiedlung gegeben hatte und auch in der Römerzeit hier Menschen wohnten (im Garten des Hauses Füllerstr. 60 wurden 1911 die Grundmauern eines römischen Landguts entdeckt), beginnt die ununterbrochene Geschichte Ginnheims mit seiner ersten Erwähnung im Jahre 772. Ginnheim gehörte erst dem Kloster Lorsch, wurde dann durch das Kloster Seligenstadt erworben und kam schließlich 1479 zur Grafschaft Hanau-Münzenberg. In der Reformationszeit wurde Ginnheim zunächst lutherisch, 1597 aber entsprechend der Konfession des Landesherrn reformiert. Das führte dazu, dass die Ginnheimer Lutheraner lange keine eigene Kirche hatten. Erst im Jahre 1700 wurde mit der heutigen Alten Bethlehemkirche Abhilfe geschaffen. Später kam Ginnheim per Erbfolge an Hessen-Kassel. In der napoleonischen Ära war es vorübergehend Teil des Großherzogtums Frankfurt, dann wieder Teil von Hessen-Kassel. 1866 fielen Hessen-Kassel und Frankfurt an Preußen. 1886 wurde Ginnheim Teil des Landkreises Frankfurt und 1910 als Stadtteil nach Frankfurt eingemeindet. Die neue Zugehörigkeit zu Frankfurt manifestierte sich im Alltag durch eine bald geschaffene Straßenbahnverbindung. Eine Straßenbahn gibt es noch heute; sie führt nach Sachsenhausen. Außerdem ist Ginnheim durch zwei U-Bahn-Linien mit dem Rest Frankfurts verbunden.
Immer noch vorhandene bauliche Zeugnisse der langen Geschichte Ginnheims sind ein Gutshof aus dem 17. Jahrhundert in der Woogstraße 43 und die schon genannte Alte Bethlehemkirche. Die barocke einschiffige Saalkirche hat innen eine Empore, auf der früher die männlichen Gottesdienstbesucher saßen, die weiblichen dagegen unten. Das Deckenbild ist ebenfalls im Barockstil gehalten, allerdings neobarock, und stammt aus dem Jahre 1902.
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Textquellen:
Schomann,Heinz u. a.: Denkmaltopographie Stadt Frankfurt am Main, Braunschweig, 1986, S. 524–529.
Broschüre der Ernst-May-Gesellschaft zu Bauten des "Neuen Frankfurt" in Ginnheim: abgerufen von > https://ernst-may-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteure/Seiten%20Anlagen/DNF/
Wohnsiedlungen/Hoehenblick/HoehenblickA4.pdf< am 05.12.2020.
Überblick zu Bauten des "Neuen Frankfurt" mit Plan: abgerufen von >http://www.forum-neues-frankfurt.de/wp-content/uploads/2019/05/Zum-Neuen-Frankfurt-auf-Schienen.pdf< am 05.12.2020.
Website der Martin-Elsaesser-Stiftung: abgerufen von >http://www.martin-elsaesser-stiftung.de/< am 05.12.2020.
Chronik von Ginnheim im Stadtportal frankfurt.de: abgerufen am >https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/chroniken-der-stadtteile/chronik-von-ginnheim< am 05.02.2020.
Webseite mit Möglichkeit zum Herunterladen von Informationen über die Geschichte der Bethlehemgemeinde: abgerufen am >http://www.evangelische-bethlehemgemeinde.de/index.php/de/geschichte< am 05.12.2020.
Webseite zu Ginnheim auf frankfurt.de: abgerufen von >https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtteile/ginnheim< am 05.12.2020.
Chronik von Ginnheim auf frankfurt.de: abgerufen von >https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/chroniken-der-stadtteile/chronik-von-ginnheim< am 05.12.2020.
Bildquellen:
Vorschaubild: Ausblick vom Südosthang des Altkönigs auf Frankfurt-Ginnheim mit dem Europaturm; Mai 2020, Urheber: Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0.
viaVom Grüneburgpark aus gesehen, 2016, Urheber: ShortcutArtworks via Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0.
Villa May, 2010, Urheber: Urmelbeauftragter via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.
Wohnhaus der Siedlung Höhenblick, Ecke Kurhessenstraße/Höhenblick, 2013, Urheber: Karsten Ratzke via Wikimedia Commons CC0.
Kloster Lorsch auf einem kolorierten Kupferstich, 1615, Urheber:
Alte Bethlehemkirche in Alt-Ginnheim, Ansicht von Nordwesten, 2012, Urheber: CC BY-SA 3.0.