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Der Frankfurter Schrank

Der Frankfurter Schrank

Sabine Gruber

Anders als Paris oder Mailand gilt Frankfurt am Main eigentlich nicht als weltweit bekanntes Zentrum des Designs, und hat dennoch neben spektakulären Bauten der architektonischen Moderne auch zwei Designklassiker hervorgebracht, die nicht nur in der Stadt entworfen wurden, sondern auch nach ihr benannt sind: die 1926 von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000) entworfene Frankfurter Küche, an der sich alle späteren Einbauküchen orientierten, und den bereits in der Barockzeit entstandenen Frankfurter Schrank, der heute noch in vielen Antiquitätenläden zu den besonders attraktiven Angeboten gehört. Wie die wesentlich später entstandene Frankfurter Küche verbindet auch der Frankfurter Schrank ein ansprechendes Design mit Funktionalität.

Anders als die Frankfurter Küche, die von einer namentlich bekannten Architektin entworfen wurde, lässt sich der Frankfurter Schrank nicht eindeutig einem einzelnen Urheber zuordnen. Diskutiert wird allerdings eine Urheberschaft des Schreinermeisters Friedrich Unteutsch (ca. 1600-1670). Jedenfalls war der heute so genannte Frankfurter Schrank die gängige Form des Schranks, die die Frankfurter Schreinermeister in der Barockzeit herstellten. Mindestens ein Exemplar eines solchen Schranks durfte zu dieser Zeit in keinem wohlhabenden Frankfurter Haushalt fehlen. Frankfurter Schränke waren und sind groß, zweitürig, besonders geräumig und wurden meistens mit Nußbaumfurnier hergestellt. Für preisgünstigere Versionen wurden gelegentlich auch andere Holzarten verwendet. Die Schränke stehen auf sehr stabilen großen Kugelfüßen. Weil die Frankfurter Schränke so stabil waren, waren sie ein beliebtes Erbstück und erfreuten in der Regel gleich mehrere Generationen. Trotz ihrer Stabilität konnten sie - was für die damalige Zeit ungewöhnlich war - leicht zerlegt und andernorts wieder neu zusammengesetzt werden, sodass auch Umzügen mit ihnen nichts im Weg stand.

Die oben genannten wichtigsten Merkmale sind zwar bei allen Frankfurter Schränken gleich, aber es gibt durchaus aufwändiger und weniger aufwändig gearbeitete Exemplare und außerdem zwei Untertypen des Schrankes. Bei den Frankfurter Lisenenschränken sind drei vertikale Kanten erkennbar. Bei den gekehlten Frankfurter Schränken sind dagegen seitlich und vorn mehrere vertikale Vertiefungen vorhanden. Optisch ist vor allem der durch die Vertiefungen und Erhöhungen an den Schranktüren hervorgerufene Hell-Dunkel-Effekt interessant und weitere Verzierungen sind eigentlich kaum noch nötig. Manche Schränke wurden jedoch zusätzlich durch Intarsien aufgewertet. Der Frankfurter Wellenschrank verfügt neben den sonstigen Ausstattungsmerkmalen der Schränke noch über wellenförmige Querleisten. Je größer der in einem Haus vorhandene Frankfurter Schrank war, desto umfangreicher war mutmaßlich auch sein Inhalt an Wäsche oder Kleidungsstücken, und so konnten Besitzer dieser Schränke leicht ihre Besucherinnen und Besucher beeindrucken oder auch neidisch machen.

Der Frankfurter Schrank ist nicht nur ein Gegenstand der Geschichte des Designs, sondern hat auch Spuren in literarischen Werken und Autobiographien hinterlassen. In ungewohnter Umgebung, auf einer kenianischen Farm, kommt er in Stefanie Zweigs „Nirgendwo in Afrika“ vor und ist dort – wie andere Erinnerungen an die Messestadt – für den früheren Frankfurter Rechtsanwalt Oscar Hahn ein Stück Heimat in der Fremde. Der Wohnbereich der Hahns auf ihrer Farm wird in dem Roman so beschrieben als könnte er sich auch in Frankfurt befinden: „Die runden, mit grünem Leder überzogenen Tische, der wuchtige Frankfurter Schrank vor eierschalfarbenen Stores, mit grauem Samt bezogene Stühle, Ohrensessel mit Bezügen aus geblümtem englischen Leinen und eine Mahagonikommode mit goldenen Beschlägen stammten von Ohas Eltern, das schwere Tafelsilber, die Kristallgläser und das Porzellan aus Lillys Aussteuer. Es gab gefüllte Bücherschränke, an den hellen Wänden Kopien von Frans Hals und Vermeer und im Wohnzimmer das Bild einer Kaiserkrönung im Frankfurter Römer, vor dem Regina jeden Abend saß und sich von Oha Geschichten erzählen ließ.“ In Peter Georg Bremers Erinnerungsbuch „Orb-Chronik. Die Geschichte der Stadt Bad Orb und unserer Familie von 1888 bis 1979“ dient ein Frankfurter Schrank während des Zweiten Weltkriegs nicht der Repräsentation, sondern dem Horten von Lebensmitteln, wofür er ,dank seiner Größe, ebenfalls gut geeignet war: „Luise hatte nun die Mansarde für sich. Als gemeinsame Küche benutzten wir den späteren ‚Äppelwoi-Keller‘, den schmalen Hinterraum im Parterre. In dem zugigen Vorraum mit dem mächtigen ‚Frankfurter Schrank‘ aus dem Jahre 1750 horteten unsere und Emils Familie Lebensmittel, vor allem Erntefrüchte und eine Menge Einmachgläser.“ Auch heute noch gibt es die beliebten Schränke in manchen Frankfurter Haushalten (und natürlich auch in Haushalten andernorts), vor allem aber in öffentlichen Gebäuden wie dem Frankfurter Römer, wo sie der Repräsentation dienen und gleichzeitig ein Stück Frankfurter Geschichte verkörpern.

 

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Textquellen:

Bremer, Peter Georg: Orb-Chronik: Geschichte der Stadt Bad Orb und unserer Familie von 1888 bis 1979, Mit Fotos von Alt-Orb, Bad Orb, 2001.

Frankfurt-Lexikon: Mit einem Stadtplan herausgegeben von Waldemar Kramer, Sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M., 1973.

Valta, Bernhard: Das 1 x 1 der Möbel-Antiquitäten, Stilkunde, Lexikon: Der Tischler, Galerie, Pflege und ein paar G’schichtn, Neckenmarkt/ Wien/ München, 2008.

Zweig, Stefanie: Nirgendwo in Afrika, Autobiographischer Roman, München, 2002.

>https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/typisch-frankfurt/frankfurter-schrank< abgerufen am 04.04.2022.

>https://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Schrank< abgerufen am 04.04.2022.

 

Bildquellen:

Vorschaubild: 

Frankfurter Schrank aus dem Palais Thurn und Taxis, um 1740, Fotografie um 1890, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

 

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