"Ein Spaziergang, der des Nachmittags über die Mainbrücke durch Frankfurt nach der Post gemacht wurde, um die Briefe nach Mannheim abzugeben, zerstreute ihn, da er das kaufmännische Gewühl, die in einander greifende Thätigkeit so Vieler hier zum ersten Mal sah. Auf dem Heimwege übersah man von der Mainbrücke das thätige Treiben der abgehenden und ankommenden, der ein- und auszuladenden Schiffe, nebst einem Theil von Frankfurt, Sachsenhausen, so wie den gelblichen Mainstrom, in dessen Oberfläche sich der heiterste Abendhimmel spiegelte. Lauter Gegenstände, die das Gemüth wieder hoben (...)"
Friedrich Schiller, der in Frankfurt zunächst unter dem Pseudonym Dr. Ritter auftrat, bevor er Frankfurter Buchhändlern gegenüber sein Inkognito aufgab und sich als Autor des bei diesen viel nachgefragten Dramas "Die Räuber" vorstellte, hatte an diesem Tag im Oktober 1782 eine Hebung des Gemüts nötig. Denn er befand sich in einer höchst prekären Situation. Nachdem er die Enge des Dienstes als württembergischer Militärarzt nicht mehr hatte ertragen können, ihm Erleichterungen seiner Lage verweigert worden waren und ihm am Ende sogar ein Schreibverbot erteilt worden war, war er fahnenflüchtig geworden. Mit seinem Freund Andreas Streicher (1761-1833), einem Komponisten, der später ein Erinnerungsbuch verfasste, aus dem der zitierte Bericht stammt, war er zunächst nach Mannheim gegangen, floh dann aber, des Mangels an Sicherheit wegen, weiter nach Frankfurt.
Von Süden her kommend erreichten die beiden Freunde zunächst Sachsenhausen, nachdem sie, da Schiller vom Fußmarsch vollkommen ausgelaugt war, im Stadtwald gerastet hatten. (An der Raststelle an der Kesselbruchschneise, heute Schillerruhe genannt, wurde 1860 ein Gedenkstein aufgestellt, der 1959, zum 200. Geburtstag des Dichters, erneuert wurde.) Sie kamen am 5. Oktober 1783 im Gasthaus "Zum Storch" an der Ecke von Brücken- und Dreikönigsstraße unter (das Haus existiert heute nicht mehr), wo Schiller nach Mannheim schrieb, an den Intendanten des dortigen Theaters, um - im Ergebnis erfolglos - einen Vorschuss für sein nach den "Räubern" zweites Stück "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" zu erbitten. Auch der Versuch, ein heute verschollenes Gedicht an einen Frankfurter Buchhändler zu verkaufen, schlug fehl. In den folgenden Tagen schrieb Schiller in dem Gasthof vor allem an seinem dritten Stück, "Louise Millerin", das dann, auf einen Vorschlag des Theaterleiters und Schauspielers August Wilhelm Iffland (1759-1814) hin, der den Franz Moor in der Uraufführung der "Räuber" gespielt hatte, in "Kabale und Liebe" umbenannt wurde.
Schon nach einer knappen Woche, am 11. Oktober 1782, verließen Schiller und Streicher Sachsenhausen und Frankfurt wieder, da es ihnen dort zu unsicher zu sein schien - nach einem Intermezzo in Oggersheim, das heute als Wohnort von Helmut Kohl bekannt ist, schrieb Schiller "Louise Millerin" schließlich auf Gut Bauerbach bei Meiningen, wo sich heute ein Schiller-Museum befindet, zu Ende.
Auch der zweite Besuch Schillers in Frankfurt war kurz: Als er aufgrund verbesserter Umstände wieder nach Mannheim zurückreisen konnte, verbrachte er vom 26. auf den 27. Juli 1783 eine Nacht in Frankfurt; der Aufenthalt ist nicht weiter bemerkenswert.
Ein drittes Mal hielt sich der Dichter im April und Mai des Jahres 1784 in Frankfurt auf und dieses Mal waren die Umstände andere. Seine ersten beiden Stücke waren mit großem Erfolg aufgeführt worden und am 13. April 1784 hatte einer der Höhepunkte, wenn nicht der Höhepunkt der Frankfurter Theatergeschichte stattgefunden - die Uraufführung von "Kabale und Liebe". Schiller selbst war bei der Uraufführung nicht anwesend, da er an der Vorbereitung der zwei Tage später erstmalig aufgeführten Mannheimer Inszenierung mitwirkte, kam dann aber zur zweiten Aufführung, die am 2. Mai stattfand - er wurde dafür gefeiert. Das Frankfurter Comoedienhaus am Theaterplatz (heute Rathenauplatz) war damals noch brandneu, es war erst am 2. September 1782 eröffnet worden. Der Theaterbau, der Schauplatz der damaligen Schiller-Aufführungen war, existiert heute nicht mehr, ebenso wenig das Gasthaus zum schwarzen Bock am Paradeplatz, in dem Schiller bei seinem Besuch wohnte. Der Paradeplatz wurde 1864, nach Aufstellung eines Schillerdenkmals von Johannes Dielmann (1819-1886), das später zum 150. Todestag Schillers (1955) in die Taunusanlage versetzt wurde und dort bis heute steht, in "Schillerplatz" umbenannt. Heute ist er Teil des Platzes "An der Hauptwache" - immerhin hat die hierauf zulaufende Schillerstraße, die einige Jahre nach dem Schillerplatz so benannt wurde, ihren Namen bewahrt. (Das heute existierende Restaurant zum schwarzen Bock in der Frankfurter Innenstadt hat mit dem historischen Gasthof nichts zu tun.)
Nach dem erfolgreichen Besuch im Jahre 1784 sollte Schiller Frankfurt nie wiedersehen. Ein 1789 ergangenes Angebot, eine Lehrtätigkeit in Frankfurt zu übernehmen, schlug er aus. Obwohl er verschiedene Kontakte nach Frankfurt unterhielt, schätzte er die Stadt, die er als Ort seelenlosen Kommerzes ansah, nicht sonderlich. Den berühmtesten Frankfurter, Johann Wolfgang von Goethe, der sich seit 1775 in Weimar aufhielt, hat er in dessen Heimatstadt nicht getroffen, sondern erst im Jahre 1788 in Rudolstadt persönlich kennengelernt.
Das Freie Deutsche Hochstift, eine der alteingesessenen Frankfurter Kulturinstitutionen, das heute als Träger des Goethe-Museums in erster Linie mit der Pflege des Goethe-Erbes befasst ist, stand übrigens ursprünglich im Zeichen Schillers - es wurde anlässlich der Frankfurter Feierlichkeiten zu dessen 100. Geburtstag im Jahre 1859 gegründet, zu denen 40000 Besucher kamen.
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Textquellen:
Streicher, Andreas: Schiller's Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785. J.G. Cotta, Stuttgart und Augsburg 1836 , Zitat S. 107/108
Schiller im Frankfurter Personenlexikon: abgerufen von >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1055< am 24.01.2022.
Webseite zu Schiller in Frankfurt: abgerufen von >https://musenkuss.de/schiller-in-frankfurt/< am 24.01.2022.
Bericht über die Frankfurter Feierlichkeiten zu Schillers 100. Geburtstag 1859: abgerufen von >http://www.goethezeitportal.de/wissen/illustrationen/friedrich-schiller/schiller-festzug-in-frankfurt-1859.html< am 24.01.2022.
Seite zum Schiller-Gedenkstein im Stadtwald: abgerufen von >https://www.komoot.de/highlight/493788< am 24.01.2022.
Webseite zum Schiller-Denkmal von Johannes Dielmann: abgerufen von >https://www.frankfurt-tourismus.de/Media/Attraktionen/Schiller-Denkmal< am 24.01.2022.
Bildquellen:
Vorschaubild:
Stahlstich Porträt Schiller nach Ölgemälde, 1794, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.