Die Namen der alten Frankfurter Straßen und Gassen beziehen oder bezogen sich manchmal auf ihre geographische Richtung wie der der Mainzer Landstraße, auf frühere Bewohner wie der der Drutmannsgasse (später: Kaffeegasse) oder auf herausragende Häuser, die an der jeweiligen Straße oder Gasse lagen. Letzteres ist bei der Frankfurter Bleidengasse (heute: Bleidenstraße) der Fall, die sich zwischen dem Liebfrauenberg und der Katharinenpforte erstreckt. Zunächst hieß die Gasse mit Bezug auf den nahen Liebfrauenberg noch vicus Mariae, später dann Blidengasse und in neuerer Zeit Bleidengasse oder auch Bleigasse.
Das Gebäude in der Nummer 12, später 10, von dem die Gasse ihren Namen erhalten hatte, war das Bleidenhaus (auch Bleidhaus, Blidenhaus oder Blydenhaus genannt). Dessen Name wurde gelegentlich zwar auf „Blide“ in der Bedeutung von „Freude“ zurückgeführt, leitete sich aber von Blide im Sinne einer Wurfmaschine ab, die schwere Steine zur Verteidigung von Städten schleudern konnte und die vor dem Einsatz von Feuerwaffen von größerer Bedeutung war. Der Begriff Blidenhaus bezog sich später auch allgemeiner auf Zeughäuser. Jedenfalls wurde das Frankfurter Bleidenhaus bis in das 18. Jahrhundert hinein noch so genutzt. Es wurden aber keine Steine mehr dort aufbewahrt, sondern zahlreiche Schusswaffen. Später dienten vor allem die Konstablerwache und das im späten 17. Jahrhundert erbaute Hauptzeughaus am Rahmhof als städtische Zeughäuser. Dort wurde unter anderem eine große Anzahl Rüstungen und Kanonen bereitgehalten. Nach dem Bleidenhaus hatte nicht nur die Gasse, an der es lag, ihren Namen bekommen, sondern auch ein in der Nähe des Hauses stehender Brunnen, der erst Blidenhusborn oder Blidenborn genannt wurde und später Bleibrunnen. Wie viele Frankfurter Brunnen war auch der Bleibrunnen anfangs ein offener Ziehbrunnen und wurde später durch einen modernen Pumpenbrunnen ersetzt. Heute ist er wie viele der alten Frankfurter Brunnen verschwunden. Da früher häufig die Anzahl der Fenster, die ein Haus haben durfte, vorgeschrieben war, gab es in Bezug auf das Bleidenhaus einmal einen Prozess, während dessen festgestellt wurde, dass die Besitzer des Bleidenhauses sowohl vorn als auch hinten so viele Fester haben durften, wie sie wollten.
Im Jahr 1752 wurde das alte Bleidenhaus verkauft, von seinem neuen Besitzer abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, der aber den Namen Bleidenhaus von seinem Vorgängergebäude übernahm. An die frühere Nutzung des Gebäudes als Aufbewahrungsstätte von Wurfmaschinen und der dazu gehörigen Wurfgeschosse erinnerten für lange Zeit noch zwei große Steinkugeln, die an den vorderen Hausecken des Bleidenhauses platziert worden waren. Schon bald nach seiner Erbauung machte das neue Bleidenhaus auch in seinem Inneren eine erstaunliche Veränderung durch, denn dort wurde eines der drei frühen Frankfurter Kaffeehäuser eingerichtet, das sogenannte Große Kaffeehaus, in dem es nicht nur das anregende Getränk zu verkosten gab, sondern auch zahlreiche intellektuelle Anregungen durch Gespräche mit ähnlich Interessierten, aber auch durch eine große Auswahl an Zeitungen und Zeitschriften, die dort bereitgehalten wurden. Ähnlich wie das Bleidenhaus auch noch so genannt wurde, als es schon längst nicht mehr als Zeughaus diente, wurde der Name des dort ansässigen Großen Kaffeehauses auch längere Zeit nach seiner Schließung im Jahr 1806 noch auf das Gebäude übertragen, in dem es sich befunden hatte. Das Gebäude wurde also alternativ als Bleidenhaus oder Großes Kaffeehaus bezeichnet.
Die ehemalige Bleidengasse wurde bereits im 19. Jahrhundert zur Bleidenstraße aufgewertet. Heute hat diese Straße der Frankfurter Altstadt ihren Charakter vollkommen verändert und ist geprägt von moderner Architektur von den sechziger Jahren bis zur Gegenwart. Dort wo früher das stattliche Bleidenhaus stand, befindet sich heute ein ebenso großes und repräsentatives Bürogebäude der HypoVereinsbank, das nicht nur wegen der heute unüblichen Beschränkung des Fenstereinbaus über deutlich mehr Fenster verfügen dürfte als das früher dort stehende Gebäude.
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Textquellen
Dietz, Alexander: Frankfurter Handelsgeschichte. Frankfurt a. M., 1910-1925, Bd. 2., 1921.
Frankfurt am Main und seine Umgebungen: Ein Wegweiser für Einheimische und Fremde, Frankfurt a. M., 1843.
Horne, Anton: Geschichte von Frankfurt am Main in gedrängter Darstellung, Dritte erweiterte und verbesserte Auflage, Frankfurt a. M., 1898.
Kriegk, Georg Ludwig: Geschichte von Frankfurt am Main in ausgewählten Darstellungen, Frankfurt a. M., 1871.
Lange, Georg: Geschichte der Freien Stadt Frankfurt am Main, von ihren Anfängen bis auf die neuesten Zeiten, Darmstadt, 1837.
Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main, von Johann Georg Battonn: Aus dessen Nachlasse herausgegeben von dem Vereine für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M., 4. Heft, Frankfurt a. M., 1866.
Samlung merkwürdiger Rechtshändel, samt ihren zweifels- und entscheidungsgründen, wie auch verschiedener rechts- und anderer materien; welche zu weiterer erkentnis und erleuterung sowol der deutschen gerichtsüblichen rechtsgelahrheit überhaupt, als besonders der Frankfurter Reformation und anmerkungen darüber nützlich angewendet werden können, Erster Theil, Franktfurt, 1763.
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