Frankfurt-Lese

Gehe zu Navigation | Seiteninhalt
Frankfurt-Lese
Unser Leseangebot

Berndt Seite

Der Traum des Mauerseglers

Berndt Seites Gedichte schätzen die Kraft des Moments. Sie tauchen in ihn ein, entdecken Höhen und Abgründe und legen dabei Vers für Vers frei, wie wir durch das Leben gehen, wer wir sein wollen und wer wir – manchmal wider Willen – dabei werden.

Es sind Gedichte, die träumen, schimpfen und scherzen, sie führen uns von leisen Beobachtungen hin zu den ersten Fragen, die damit ringen, womöglich zu den letzten zu gehören.

Der erste Germanistentag in Frankfurt

Der erste Germanistentag in Frankfurt

Sabine Gruber

In Frankfurt fanden im Laufe der Jahrhunderte so viele bedeutende Ereignisse statt, dass manche davon fast wieder in Vergessenheit geraten sind. Eines dieser weniger bekannten Ereignisse der Frankfurter Stadtgeschichte ist der erste Germanistentag, der 1846 an einem besonders prominenten Frankfurter Ort, im Kaisersaal des Römers, stattfand. Stolz versammelten sich die Wissenschaftler dort, wo in früheren Zeiten Fürsten getagt hatten, und fühlten sich dort am richtigen Ort, denn auch sie empfanden sich schließlich als Geistesfürsten.

Während die heutigen Deutschen Germanistentage große Fachtagungen für die deutsche Philologie sind, die alle drei Jahre vom Deutschen Germanistenverband ausgerichtet werden, verstand man im Jahr 1846 den Begriff „Germanistik“ noch etwas weitreichender und bezeichnete auch Juristen, die sich mit dem deutschen Recht – im Gegensatz zum römischen Recht – befassten, und Historiker, die ihren Fokus auf die deutsche Geschichte richteten, als „Germanisten“. Die von Jacob Grimm und August Ludwig Reyscher verfasste Einladung richtete sich deshalb an: „Männer, die sich der Pflege des deutschen Rechts, deutscher Geschichte und deutscher Sprache ergeben.“ Dementsprechend groß war das fachliche Spektrum der während des Frankfurter Germanistentags gehaltenen Vorträge. Vor allem hatte der erste Germanistentag von 1846 einen sehr nationalen Akzent, der von den Teilnehmenden mal mehr, mal weniger betont wurde, aber doch immer präsent war. Auch der Veranstaltungsort, Frankfurt als Ort von Königswahlen und Kaiserkrönungen, war vor allem unter diesem Aspekt ausgewählt worden. Man wollte an die mittelalterliche Vergangenheit Deutschlands anknüpfen. Der Germanistentag sollte nicht zuletzt auch ein Schritt auf dem Weg zu Deutschen Einheit sein. Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken, die es im Vorfeld gegeben hatte, spielten während der eigentlichen Versammlung zwar kaum noch eine Rolle. Letztlich wurde die Veranstaltung aber doch von Protestanten dominiert. Aktuelle politische Fragen, die verhandelt wurden, war der von Dänemark erhobene Anspruch auf Schleswig-Holstein, aber auch die Zensur der Presse.

Die Tagung begann am 24. September. Viele Besucher waren aber schon vorher am Ort eingetroffen. Als Vorsitzender der Versammlung wurde Jacob Grimm gewählt. Vor allem seine Reden wurden vom Publikum bejubelt. Seine Ansprache zur Eröffnung des ersten Versammlungstags betonte die Bedeutung der Sprache für die Identität des Volkes und davon ausgehend die große Bedeutung der Sprach- und Literaturwissenschaft für die nationale Identität. Am zweiten Versammlungstag hielt er in einem Vortrag „Über den Werth der ungenauen Wissenschaften“ eine Verteidigungsrede der Geisteswissenschaften. Der Vortrag seines Bruders Wilhelm war stärker auf ein Einzelthema fokussiert und widmete sich dem Deutschen Wörterbuch. Wilhelm Grimm berichtete über das laufende Projekt: „Das Wörterbuch soll die deutsche Sprache umfassen, wie sie sich in drei Jahrhunderten ausgebildet hat: es beginnt mit Luther und schließt mit Goethe. Zwei solche Männer, welche, wie die Sonne dieses Jahrs den edlen Wein, die deutsche Sprache beides feurig und lieblich gemacht haben, stehen mit Recht an dem Eingang und Ausgang. Die Werke der Schriftsteller, die zwischen diesen beiden aufgetreten sind, waren sorgfältig auszuziehen, nichts Bedeutendes sollte zurückbleiben.“ Neben den Grimms nahmen als weitere prominente Teilnehmer unter anderen Ludwig Uhland und Georg Gottfried Gervinus an der Versammlung teil. Die Teilnehmerzahl, die je nach Tag variierte, lag bei rund 200.

Parallel zu den öffentlichen Vorträgen fanden, wie auch später während der Deutschen Germanistentage im 20. Jahrhundert, fachlich stärker fokussierte Sektionsvorträge statt. Es wurden jedoch nicht nur wissenschaftliche Vorträge gehalten, sondern zum Abschluss wurde auch gefeiert. Die Stadt Frankfurt tat viel dafür, dass ihre Gäste auch den Ort ihrer Zusammenkunft in positiver Erinnerung behielten und richtete am 27. September im Gasthof „Zum Weidenbusch“ ein Festmahl aus. Bei den Trinksprüchen wurden die nationalen Töne dann deutlicher angeschlagen als es in vielen Vorträgen der Fall war.

Der Frankfurter Germanistentag hatte, wie wenige Jahre später in der Enzyklopädie „Die Gegenwart“ festgehalten wurde, auch eine allgemeine gesellschaftliche Wirkung: „In Frankfurt hatte die Germanistenversammlung auf die sogenannten höhern Stände einen Theil der Wirkung, den in einer anderen Beziehung das Montagskränzchen auf den Mittelstand übte. Es gehörte immer mehr zum guten Ton, sich, was die allgemeinen Verhältnisse Europas und Deutschlands betraf, zu freisinnigen Ansichten zu bekennen, […].“ Der folgende Germanistentag fand in Lübeck statt. Der nächste Germanistentag, der in Nürnberg stattfinden sollte, musste wegen der Revolution von 1848 ausfallen. Weitere Germanistentage, jetzt unter dem Namen „Deutscher Germanistentag“, fanden erst wieder im 20. Jahrhundert statt.


*****

Textquellen:

Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, Fünfter Band, Leipzig, 1850.

Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. I/2: Žmegač, Viktor (Hrsg.), 4. Aufl., Weinheim, 1996.

Frankfurt-Lexikon. Mit einem Stadtplan: Kramer, Waldemar (Hrsg.), Sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M., 1973.

Hermand, Jost: Geschichte der Germanistik, Reinbek, 1994.

Raumer, Rudolf von: Geschichte der germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland, München, 1870.

Röther, Klaus: Die Germanistenverbände und ihre Tagungen: Ein Beitrag zur germanistischen Organisations- und Wissenschaftsgeschichte, Köln, 1980.

>https://de.wikipedia.org/wiki/Germanistentag< abgerufen am 08.03.2020.


Bildquellen:

Vorschaubild: Tagungsort Römer in Frankfurt, zwischen 1890 und 1905, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Portrait des August Ludwig Reyscher, 1845, Urheber: Bonaventura Weiss via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Jacob Grimm Porträt, 1840, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Tagungsort Lübecker Rathaus, 1905. Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons PD-alt-100.

Weitere Beiträge dieser Rubrik

Das Fischerfeld
von Sabine Gruber
MEHR
Paulskirchenparlament
von Constanze Bragulla
MEHR
Judenschlacht
von Karl Wilhelm Ferdinand Enslin
MEHR
Werbung
Unsere Website benutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung unserer Inhalte stimmen Sie der Verwendung zu. Akzeptieren Weitere Informationen