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Martin Schneider
Kennst du Leo Tolstoi?

Welche Persönlichkeit steckt hinter diesem großen Mann der russischen Literatur? Über das bewegte und gegensätzliche Leben Tolstois weiß dieses Buch zu erzählen. Zugleich stellt es einige ausgewählte Werke dieses großen Visionärs in Auszügen vor.

Der Sperrbatzen

Der Sperrbatzen

Sabine Gruber

Die Frankfurter Stadtbefestigung von der Judengasse nach Westen 1872
Die Frankfurter Stadtbefestigung von der Judengasse nach Westen 1872

Wer zu einer Veranstaltung zu spät kommt, hat mitunter das Problem, dass er/sie – zum Beispiel in eine Theateraufführung – nicht mehr hineingelassen wird. So konnte es einem zu Zeiten der Frankfurter Stadtbefestigung auch gehen, wenn man die Stadt erst nach der Schließung der Stadttore erreichte. Immerhin gab es einen Ausweg aus dieser Notsituation: Zu spät kommende Frankfurter Bürger und Bürgerinnen konnten den sogenannten Sperrbatzen entrichten und auf diese Weise trotz ihrer Verspätung noch mit ihren Pferden und Kutschen in die sichere Stadt gelangen. Die über ein Jahrhundert lang, von 1724 bis 1836, geltende Regelung, dass, wer zu spät zu den Frankfurter Stadttoren kam, einen Sperrbatzen zu entrichten hatte, diente nicht zuletzt auch der Sanierung der Frankfurter städtischen Finanzen. Die ursprünglich aus Süddeutschland, Österreich und der Schweiz stammende Währungseinheit „Batzen“, hatte je nach Prägeort einen abweichenden Wert. Die in Frankfurt geprägten Batzen entsprachen einem Wert von vier Kreuzern.

Den Sperrbatzen mussten alle entrichten, die abends nach 21 Uhr in die Stadt gelangen wollten. Wie leicht zu denken ist, war der Frankfurter Sperrbatzen nicht beliebt und die zu spät kommenden Bürgerinnen und Bürger versuchten deshalb, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um ihn nicht zahlen zu müssen. Die daraus resultierenden Diskussionen an den Stadttoren kann man sich heute noch gut vorstellen. Sogar eine Redensart bildete sich aus den Versuchen, die unbeliebte Gebühr zu umgehen: „Frankfort bringt kaan Batze um“ (Frankfurt bringt ein Batzen weniger nicht um.) Später wurde die Redensart auch auf andere Situationen übertragen, in denen versucht wurde, der Stadt Einnahmen zu entziehen oder ihr überhöhte Rechnungen aufzubürden, zum Beispiel, wenn Handwerker der Stadt mehr in Rechnung gestellt hatten als sie es bei Privatleuten getan hätten. Eine Frankfurter Spezialität war der Sperrbatzen allerdings nicht. Es gab auch andere Städte, wie Basel, die diese Gebühr für das Zuspätkommen an den Stadttoren verlangten.

Abbau der Frankfurter Stadtmauer 1805
Abbau der Frankfurter Stadtmauer 1805

Was kurz nach der Einführung des Sperrbatzens noch einigermaßen funktionierte, wurde, als die Frankfurter Stadtbefestigung sich ihrem Ende zuneigte (bereits von 1806 bis 1812 wurden nach und nach die Wallanlagen abgerissen) zunehmend als anachronistisch und als städtische Willkür empfunden. Beeinflusst wurde diese Einschätzung auch durch die aufgeheizte politische Situation in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts vor der Märzrevolution von 1848. Der Unmut der zu spät Gekommenen an den verbliebenen Stadttoren wie dem Taunustor, das bis 1864 abends geschlossen wurde, nahm zu. Im Jahr 1831 resultierten aus dem Unmut gewalttätige Auseinandersetzungen, die als „Sperrbatzen-Krawall“ in die Frankfurter Stadtgeschichte eingegangen sind.

Der Sperrbatzen-Krawall nahm seinen Anfang, als am 24. Oktober 1831 kurz vor 10 Uhr abends eine Menge von ca. 1.000 Personen vor dem Frankfurter Allerheiligentor wartete und in die Stadt zurückkehren wollte. Zuvor waren sie anlässlich der Weinlese in den Dörfern der Frankfurter Umgebung gewesen und hatten sich darauf verlassen, dass – wie üblich – an den Lesetagen eine Ausnahme von der sonst üblichen Schließung um 21 Uhr gemacht würde. An den Tagen der Weinlese in der Frankfurter Umgebung war es ein ungeschriebenes Gesetz, die Stadttore erst eine Stunde später als gewöhnlich zu schließen. Diesmal war jedoch keine Ausnahme gemacht und das Allerheiligentor bereits um 21 Uhr geschlossen worden. Von den rund 1.000 Personen, die sich am Tor eingefunden hatten, wurde also der Sperrbatzen verlangt. Sie weigerten sich aber, die Gebühr zu entrichten. Was dann geschah wurde später als „Zusammenrottung vieler Menschen aus der niedern Volksklasse“ beschrieben. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen mit dem Militär. Drei der Soldaten wurden durch Personen aus der Menge erschossen.

Auch an den folgenden Tagen kam es zu ähnlichen, wenn auch nicht ganz so gravierenden Vorfällen, weshalb der Frankfurter Stadtrat schließlich nach Einbruch der Dämmerung die gemeinsame Bewegung, aber auch das gemeinsame Herumstehen zahlreicher Personen auf den Straßen der Stadt verbot. Besonders findige Bürger traten deshalb in Gruppen mit Laternen auf, damit die Dämmerung nicht hereinbrechen konnte. 2019 erinnerte das Performancekollektiv „Red Park“ am früheren Allerheiligentor, heute Allerheiligentor/Friedberger Anlage, an die Krawalle von 1831 und stellte dabei Bezüge zu aktuellen Mieterprotesten her.

 

 

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Textquellen

Frankfurt-Lexikon: Mit einem Stadtplan herausgegeben von Waldemar Kramer. Sechste, neubearbeitete Ausgabe. Frankfurt a. M. 1973

Georg Büchner. Leben, Werk, Zeit. Katalog. Marburg 1985

Waldemar Kramer: Frankfurt-Chronik. Frankfurt am Main 1977

Vom Sperrbatzenkrawall zum Mieterprotest. In: Frankfurter Rundschau. 9.01.2019 (https://www.fr.de/frankfurt/sperrbatzenkrawall-mieterprotest-11086144.html)

https://de.wikipedia.org/wiki/Wallanlagen_(Frankfurt_am_Main) (abgerufen am 4.2.2024)

https://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Stadt_Frankfurt (abgerufen am 4.2.2024)

https://de.wikipedia.org/wiki/Batzen (abgerufen am 4.2.2024)

http://www.frankfurt-nordend.de/nordend-geschichte_bis_1899.htm (abgerufen am 4.2.2024)

 

Bildquellen:

Vorschaubild: 1 Batzen, Bern, 16th century, Urheber:  Ivlianvs via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Frankfurt Am Main-Peter Becker-BAAF-032-Aussicht vom Steinernen Haus in der Judengasse nach Westen-1872, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Abbruch der Stadtbefestigung 1806, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

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