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In den vielen Werkstätten des Anthropozän zieht Berndt Seite an den Fäden des Moments und befragt mit ihnen den längst abhanden geratenen Sinn des Lebens.

Die Familie Prestel

Die Familie Prestel

Sabine Gruber

Ein Bericht von der Leipziger Michaelismesse, der am 25. Mai 1806 in der „Kaiserlich und Königlich bairischen privilegirten Allgemeinen Zeitung“ erschien, erwähnt neben anderen auswärtigen Kunsthändlern auch „Prestel aus Frankfurt“. „Ersterer“ habe „seinen Kunsthandel erweitert“ und zeige „auch verschiedene neue Blätter, worunter sich ein Stich nach Potters Kuh und ein Thierstük von Snyers auf der Kasselschen Gallerie, und eine Tigerhöle nach Ruthard bemerkbar machten. Bei ihm war nun auch die lezte Lieferung von Boydell’s Shakspeare mit dem Porträt des Königs zu haben, und so dis kostbare Werk, das der Unternehmer mit seinem Vermögen und Leben bezahlte, geschlossen.“ Der Bericht beweist das breite Spektrum der Werke, die der Maler und Kupferstecher Christian Erdmann Gottlieb Prestel (1773-1830) schon im zweiten Jahr seiner Tätigkeit als Frankfurter Kunsthändler im Angebot hatte, und die überregionale Wahrnehmung seines Geschäfts. Oder war doch der damals ebenso bekannte Vater Prestels gemeint, der ebenfalls in Frankfurt als Maler und Kunsthändler tätig war?

Wie so viele Familien, die es in der Messestadt zu wirtschaftlichem Erfolg und Ansehen brachten, war auch die Familie Prestel keine ursprünglich in Frankfurt angesiedelte Familie. Christian Gottlieb Prestels Vater Johann Gottlieb (auch: Amadeus) Prestel (1739-1808) stammte aus Tirol, wo er als Sohn eines Handwerkers in dem Ort Grünenbach geboren worden war. Bevor er nach Frankfurt kam, hatte er bereits eine längere Tätigkeit als Künstler und eine rastlose Umzugstätigkeit hinter sich, die in der Literatur immer wieder mit seinem unsteten und schwierigen Wesen in Verbindung gebracht wird, das auch seine Frau und seine Kinder zu spüren bekommen hätten. Allerdings waren Johann Gottlieb Prestels Ortswechsel immer auch durch seinen Wunsch nach – größtenteils autodidaktisch erworbener – künstlerischer Ausbildung in Zentren der bildenden Kunst bedingt. Als 21jähriger reiste er zunächst nach Venedig, wo er unter anderem von Giuseppe Nogari (1699-1766) ausgebildet wurde, ging von dort aus nach Rom, später auch nach Florenz und Bologna und im Jahr 1769 nach Nürnberg, wo er in der aus dem dortigen Patriziat stammenden Zeichnerin, Kupferstecherin und Radiererin Maria Katharina Höll (1747-1794) zunächst eine begabte Schülerin und 1773 eine ebenbürtige Partnerin fand. 1775 begegnete Prestel in Zürich in dem Theologen, Publizisten und Physiognomiker Johann Caspar Lavater (1741-1801), der für seine physiognomischen Arbeiten eine umfangreiche Porträtsammlung angelegt hatte, einem Mentor, der ihn der dortigen Gesellschaft als Bildnismaler empfahl. Nach seinem Aufenthalt in Zürich hielt Prestel sich erneut für längere Zeit in Nürnberg auf, wo er unter anderem begann sich als Stecher und Hersteller von Reproduktionen auszubilden. Gemeinsam mit seiner Frau begann er unter anderem in Aquatintatechnik zu arbeiten.

Weil er zwar als Künstler und Kupferstecher Anerkennung erhielt, sein finanzieller Erfolg jedoch zu wünschen übrigließ, folgte Prestel 1783 seiner bereits vorher dorthin übersiedelten Frau nach Frankfurt. Als Mentor der Prestels trat in Frankfurt der Kunstsammler und Kunsthistoriker Heinrich Sebastian Hüsgen (1745-1807) auf. In der Handelsstadt hatte Johann Gottlieb Prestel endlich einen Ort gefunden, an dem er es längerfristig aushielt und an dem seine Fähigkeiten ihm Einnahmen ermöglichten. Er war dort nicht nur als Maler und Grafiker, sondern auch als Kunsthändler tätig. Seine Frau verließ ihn jedoch schon 1786 in Richtung London wo sie 1794 nach sehr erfolgreicher eigener Tätigkeit als Malerin und Grafikerin starb. Zeitweise lebten auch ihre Kinder bei ihr in London. Ihr von ihr getrenntlebender Ehemann bot währenddessen in Frankfurt den reichen Bürgerinnen und Bürgern überwiegend eigene Originalbilder und den weniger reichen hochwertige Reproduktionen alter Meister an, die oft innovative Methoden nutzten, sodass man in Bezug auf diese von „Prestelscher Manier“ sprach.

Neben ihren Brüdern, dem Kunsthändler und Maler Christian Erdmann Gottlieb Prestel, der auch als Musiker begabt war, und dem Maler und Kupferstecher Johann Adam Prestel (1775-1818) führte auch die Tochter Ursula Magdalena (1777-1845) die Familientradition fort. Lediglich ein weiterer Sohn der Prestels wurde nicht als Künstler bekannt. Ursula Magdalena Prestel zog nach dem Tod ihrer Mutter zu ihrem Vater nach Frankfurt, erhielt wie ihre Brüder eine Ausbildung als Malerin und Kupferstecherin und unterstützte zunächst ihren Vater in seinem Atelier, bis sie im selben Jahr, in dem ihr Bruder Christian Gottlieb Erdmann seine Kunsthandlung eröffnete, den Frankfurter Kunsthändler Johann Georg Reinheimer (1776-1820) heiratete und selbst als Künstlerin, vor allem durch Porträts und Landschaften bekannt wurde. Nachfahren der Prestels waren in Frankfurt als Betreiber eines Auktionshauses tätig, aus dem später der Prestel Verlag hervorging.

 

 

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Textquellen

Frankfurt-Lexikon, mit einem Stadtplan, herausgegeben von Waldemar Kramer, Sechste, neubearbeitete Ausgabe, Frankfurt a. M., 1973.

Frost,Reinhard: Prestel, Christian Erdmann Gottlieb. Artikel aus der Frankfurter Biographie (1994/96) in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe) abgerufen von >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/793< am 21.06.2022.

Frost,Reinhard: Prestel, Johann Gottlieb Amadeus. Artikel aus der Frankfurter Biographie (1994/96) in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe) abgerufen von >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/794 am 21.06.2022.

Reinhard Frost: Prestel, Maria Catharina. Artikel aus der Frankfurter Biographie (1994/96) in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/795 (abgerufen am 4.1.2022)

Frost,Reinhard: Reinheimer, Ursula. Artikel aus der Frankfurter Biographie (1994/96) in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe) abgerufen von >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/872< am 21.06.2022.

Blick auf die Leipziger Michaelismesse 1805 (Fortsetzung) in: Kaiserlich und Königlich bairische privilegirte Allgemeinen Zeitung, Sonntag, 25. Mai 1806, Nr. 145, S. 577.

Neues allgemeines Künster-Lexikon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Lithographen, Formschneider, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter etc. Bearb. V. G. K. Nagler. 3. Auf. 13. Bd. Unveränderter Abdruck der ersten Auflage 1835-1852, Leipzig o. J.

>https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottlieb_Prestel< abgerufen am 21.06.2022.

>https://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Katharina_Prestel< abgerufen am 21.06.2022.

>https://de.wikipedia.org/wiki/Prestel_Verlag< abgerufen am 4.1.2022.

 

Bildquellen:

Vorschaubild: Self-Portrait by Johann Gottlieb Prestel via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Porträt Johann Erdmann Gottlieb Prestel, gezeichnet von Leoplod Pollak, Rom 1835 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Ursula Magdalena Reinheimer - Selbstbildnis um 1834 via Wikimedia Commons  Gemeinfrei.

 

 

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