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Florian Russi

Märchenbühne
Kurze Theaterstücke für integrative Kinder- und Jugendgruppen

8 Theaterstücke von Florian Russi aus dem Bereich der Märchen und Sagen mit unterschiedlchem Schwierigkeitsgrad finden sich in diesem Heft.

Florian Wackers „Zebras im Schnee“

Florian Wackers „Zebras im Schnee“

Ralph Zade

Das „Neue Frankfurt“ im Roman

2025 feiert Frankfurt ein Jubiläum. Das Städtebauprogramm „Das Neue Frankfurt“ wird 100 – 1925 wurde Ernst May, der Spiritus Rector dieses Programms, Stadtbaurat. Dazu passt es, dass im Rahmen der Aktion „Frankfurt liest ein Buch“ für 2024 ein Roman ausgewählt wurde, in dem das „Neue Frankfurt“ eine wichtige Rolle spielt – Florian Wackers „Zebras im Schnee“. Das ist etwas Besonderes, denn noch nie wurde ein gerade erschienenes Buch dazu auserkoren, im Zentrum dieses stets auf ein belletristisches Werk mit Frankfurt-Bezug fokussierten Lesefestivals zu stehen.

Ob der 1980 in Stuttgart geborene Florian Wacker, der seit einiger Zeit in Frankfurt lebt und das Handwerk des Schreibens am Literaturinstitut Leipzig erlernt hat, sein Thema in Bezug auf das Jubiläum gewählt hat, ist unklar – er selbst sagte einmal, dass er durch eine Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt vor einigen Jahren dazu gekommen sei. Und das Sujet lag auch in der Luft, nachdem das Bauhaus als verwandte Strömung bereits im Jahre 2017 durch Theresia Enzensberger in dem Roman „Blaupause“ eine literarische Gestaltung erfahren hat, einem Roman, in dessen Zentrum wie bei Wacker die Geschichte einer jungen Frau steht, die auch eine Emanzipationsgeschichte ist. Wobei das „Neue Frankfurt“ kein „Ableger“ des Bauhauses ist, wie es auf der Rückseite des Schutzumschlages von „Zebras im Schnee“ behauptet wird, sondern eine eigenständige künstlerisch-architektonische Bewegung war.

Ella Burmeister, die Heldin von Wackers Roman, ist eine fiktive Figur, die einige Züge real existierender Personen trägt – bei dem Vornamen mag man an die Fotografin, Filmemacherin und bildende Künstlerin Ella Bergmann-Michel (1895-1971) denken, ein paar Überschneidungen gibt es auch mit der Fotografin Ilse Bing (1899-1998), die wie Ella Burmeister im Roman ein Mathematikstudium abbrach, um Fotografin zu werden, und die im Buch als Randfigur auftritt. Ella wird als Autodidaktin Fotografin, nachdem ihr eine Freundin, die Kunststudentin Franziska Goldblum, die anders als Ella, die Tochter eines Ladenbesitzers, aus wohlhabenden Verhältnissen stammt, eine Leica geschenkt hat – eine Kamera, die für sie sonst unerschwinglich gewesen wäre und die sie sofort fasziniert. Da im Umfeld des „Neuen Frankfurt“, in dem Architekten nicht nur Innovatives schaffen, sondern ihre Werke auch durch adäquate Architekturfotografie in Szene gesetzt wissen wollen, Bedarf an Fotografinnen und Fotografen besteht, kommt Ella schnell mit entsprechenden Kreisen in Kontakt. Das ist der erste Handlungsstrang, er beginnt 1927 und endet 1933, was es dem Autor erlaubt, auch die sich auf die Machtergreifung der Nazis hin entwickelnde, bedrückende politische Situation der Zeit zu beschreiben, die zu der 1927 noch bestehenden progressiven Stimmung in scharfem Kontrast steht. Der zweite Handlungsstrang spielt 1997, siebzig Jahre später also, und dreht sich um den New Yorker Professor Richard Kugelman, der nach Frankfurt gekommen ist, um an einer Tagung über das „Neue Frankfurt“ teilzunehmen und Recherchen über eine Ausstellung hierzu zu unternehmen, die er in New York organisieren will. Kugelman kommt auf die Idee, Ella Burmeister ins Zentrum dieser Schau zu stellen, um dem Thema einen neuen Aspekt abzugewinnen, aber nicht nur das – er hat auch ein persönliches Interesse an Ella, nachdem er auf einem Foto gesehen hat, dass diese eine Beziehung zu seiner verstorbenen Mutter Franziska Goldblum hatte, deren Natur er nachgehen will. Er geht deshalb auf die Suche nach Fotos von Ella. Diese beiden Handlungsstränge schneidet Wacker gekonnt ineinander, was es ihm erlaubt, Cliffhanger einzubauen und eine raffinierte Spannungsdramaturgie zu entwickeln, der man anmerkt, dass er auch Autor von Kriminalromanen ist – der erste Band einer geplanten Reihe um die Frankfurter Staatsanwältin Greta Vogelsang („Die Spur der Aale“) ist 2023 erschienen.

Der historische Handlungsstrang ermöglicht es Wacker, eine ganze Reihe realer historischer Persönlichkeiten auftreten zu lassen, die dem „Neuen Frankfurt“ mehr oder weniger nahestanden – sie reichen von den Architekten Ernst May und Martin Elsaesser über die Fotografinnen Nini und Carry Hess und die bereits erwähnte Ilse Bing bis hin zu Malerinnen und Malern wie Ottilie W. Roederstein (nebst ihrer Lebensgefährtin Elisabeth Winterhalter) und Max Beckmann sowie der Kunstsammlerin und Mäzenin Lilly von Schnitzler; auch Alfred Döblin hat einen kurzen Auftritt. Aufgrund einer Liaison mit Max Harder, einem (fiktiven) Architekten im Stab von Martin Elsaesser, dessen berühmte Großmarkthalle sie fotografiert, geht Ella auch kurzfristig mit der „Brigade May“ in die Sowjetunion und sieht Moskau und die Anfänge von Magnitogorsk, der von dieser Brigade konzipierten Planstadt. Franziska Goldblum, die als Jüdin von den Nazis bedroht ist, und sich zeitweise der KPD anschließt, muss Deutschland am Ende verlassen, Ella reist ihr nach… Mehr soll hier dazu nicht gesagt werden, um das Ende nicht zu verraten.

Das Tempo des Romans ist ein rasantes, der Text auf Spannung hin konzipiert – das ist Florian Wacker gut gelungen. Auch die Stimmung der Zeit ist gekonnt eingefangen. Wer sich allerdings substantiellere Reflexionen zum „Neuen Frankfurt“ und der hinter dieser bedeutenden Architektur- und Designströmung der Zeit stehenden Ideen erhofft, wird tendenziell enttäuscht. Auch die realen Figuren bleiben vielfach eher blass. Man kann ohnehin Zweifel daran haben, dass ein heutiges Publikum, zumal eines, das sich in Frankfurt und seiner Geschichte nicht auskennt, weiß, wer Carry Hess oder Ottilie W. Roederstein waren. Die „Zebras im Schnee“ – der Titel bezieht sich auf ein Bild, dem im Roman eine Symbolfunktion zukommt – lassen sich jedoch auch mit Gewinn lesen, ohne alle genannten Personen zu kennen. Vielleicht finden sich ja auch Leserinnen und Leser, die weiter gehen und die Lektüre zum Anlass nehmen, sich auf eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem einzulassen, was hier verhandelt wird – den Personen nachzuspüren, die hier manchmal nur Statisten sind. Es wäre nicht die schlechteste Wirkung, die die Lektüre eines Romans haben kann, neben kurzweiligen und spannenden Stunden, die man mit diesem Buch auch ohne solche Recherchen wird genießen können.

 

*****

Textquellen

Wacker, Florian: Zebras im Schnee, Berlin Verlag, 2024.

Rezension in der FAZ abgerufen von >https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/florian-wackers-roman-zebras-im-schnee-19665816.html< am 11.12.2024.

Bericht in der Frankfurter Rundschau abgerufen von >https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-liest-ab-montag-zebras-im-schnee-93021875.html< am 11.12.2024.

Webseite von „Frankfurt liest ein Buch“ abgerufen von >https://www.frankfurt-liest-ein-buch.de/< am 11.12.2024.

 

Bildquellen:

Vorschaubild: FlorianWackerP1040928: Florian Wacker, Erlanger Poetenfest 2015, Urheber: manfred.sause@volloeko.de via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0; neu bearbeitet von Carolin Eberhardt.

 

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