Heinrich Heine: Reisebilder - Kapitel 123
Heinrich Heine
Ich will nicht ungerecht sein und hier unerwähnt lassen die Verehrung, die man hier dem Namen Goethe zollt, der deutsche Dichter, von dem man hier am meisten spricht. Aber Hand aufs Herz, mag das feine, weltkluge Betragen unseres Goethe nicht das meiste dazu beigetragen haben, daß seine äußere Stellung so glänzend ist und daß er in so hohem Maße die Affektion unserer Großen genießt? Fern sei es von mir, den alten Herrn eines kleinlichen Charakters zu zeihen. Goethe ist ein großer Mann in einem seidnen Rock. Am großartigsten hat er sich noch kürzlich bewiesen gegen seine kunstsinnigen Landsleute, die ihm im edeln Weichbilde Frankfurts ein Monument setzen wollten, und ganz Deutschland zu Geldbeiträgen aufforderten. Hier wurde über diesen Gegenstand erstaunlich viel diskutiert, und meine Wenigkeit schrieb folgendes mit Beifall beehrte Sonett:
Hört zu, ihr deutschen Männer, Mädchen, Frauen,
Und sammelt Subskribenten unverdrossen;
Die Bürger Frankfurts haben jetzt beschlossen:
Ein Ehrendenkmal Goethen zu erbauen.
"Zur Meßzeit wird der fremde Krämer schauen" -
So denken sie - "daß wir des Manns Genossen,
Daß unserm Miste solche Blum entsprossen,
Und blindlings wird man uns im Handel trauen."
Oh, laßt dem Dichter seine Lorbeerreiser,
Ihr Handelsherrn! Behaltet euer Geld.
Ein Denkmal hat sich Goethe selbst gesetzt.
Im Windelnschmutz war er euch nah, doch jetzt
Trennt euch von Goethe eine ganze Welt,
Euch, die ein Flüßlein trennt vom Sachsenhäuser!
Der große Mann machte, wie bekannt ist, allen Diskussionen dadurch ein Ende, daß er seinen Landsleuten mit der Erklärung: "er sei gar kein Frankfurter" das Frankfurter Bürgerrecht zurückschickte.
Letzteres soll seitdem - um frankfurtisch zu sprechen - 99 Prozent im Werte gesunken sein, und die Frankfurter Juden haben jetzt bessere Aussicht zu dieser schönen Akquisition. Aber - um wieder frankfurtisch zu sprechen - stehen die Rothschilde und die Bethmänner nicht längst al pari? Der Kaufmann hat in der ganzen Welt dieselbe Religion. Sein Comptoir ist seine Kirche, sein Schreibpult ist sein Betstuhl, sein Memorial ist seine Bibel, sein Warenlager ist sein Allerheiligstes, die Börsenglocke ist seine Betglocke, sein Gold ist sein Gott, der Kredit ist sein Glauben.
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Bildquelle: Heinrich Heine. Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim 1831. gemeinfrei, wikipedia
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