Der historische Stadtkern wurde in Frankfurt, wie in vielen anderen deutschen Großstädten auch, im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört. Zwar wurden Teile der Altstadt rekonstruiert - nicht immer originalgetreu -, doch bleibt vieles verloren. Umso größerer Wert kommt Quellenwerken zu, die es erlauben, nicht nur Aufschluss über die großen und bekannten Bauten zu erhalten, die oftmals Gegenstand bildlicher Darstellungen waren, wie Kirchen oder Repräsentativbauten der Stadtverwaltung, sondern auch über die vielen Privathäuser, die ebenfalls untergegangen sind und den Charakter des alten Frankfurt nicht weniger prägten. Eines der wichtigsten dieser Werke, die "Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt" verdankt Frankfurt Johann Georg Battonn (1740-1827).
Battonn wurde am 14. Mai 1740 in Mainz als Sohn eines Brauers geboren. Er schlug die Priesterlaufbahn ein und wurde bereits Ende 1759, also mit nicht einmal 20 Jahren, Kanonikus (d. h. Stiftsherr) im Bartholomäusstift in Frankfurt. Das Stift war für die Verwaltung des Frankfurter Doms St. Bartholomäus zuständig. Ab 1760 lebte Battonn in der Stiftsgemeinschaft in einem der sogenannten Vikariehäuser am Arnsberger Hof, der 1944 zerstört wurde. (Dessen Barockfassade war zunächst stehengeblieben, wurde dann aber in den 50er Jahren abgerissen, um die Kurt-Schumacher-Straße als Durchgangsstraße zu bauen - eine von vielen Bausünden im Frankfurt der Nachkriegszeit.) Wer nach der schnellen Bestellung zum Kanonikus eine größere Karriere erwartet, täuscht sich. Battonn verharrte mehrere Jahrzehnte in seiner Position. 1802 wurde er dann Kustos und Archivar des Stifts, hatte von dieser Beförderung aber nicht viel, denn im selben Jahr wurde das Stift, wie auch viele andere kirchliche Einrichtungen in der napoleonischen Epoche, säkularisiert, sodass es für die Kanoniker keine Verwendung mehr gab. Die letzten 25 Jahre seines Lebens verbrachte Battonn deshalb als Pensionär der Stadt Frankfurt. Sein Leben war unspektakulär und er wäre kaum der Erinnerung wert, wenn er nicht ein besessener Sammler von Nachrichten über die Straßen und Gebäude der Stadt Frankfurt gewesen wäre, die er mit unermüdlichem Fleiß zusammentrug. Hierfür hatte er hervorragende Voraussetzungen, denn er konnte nicht nur das Archiv des Stifts nutzen - hier waren z. B. die Aufzeichnungen der Stifterfamilien hilfreich -, sondern hatte darüber hinaus Zugang zu zahlreichen weiteren Quellen. Quellenkritik im heutigen Sinn betrieb er dagegen kaum. Insofern genügte seine Arbeit nicht den Anforderungen, die in der Gegenwart an die Arbeit von Historikern gestellt werden. Sie ist aber dennoch von großem Wert, weil er zahlreiche Quellen auswertete, die heute verloren sind
Johann Georg Battonn hatte zwar extrem umfangreiches Material gesammelt, konnte seine Arbeit aber nicht vollenden, geschweige denn publizieren, denn nachdem er schon jahrelang schwere Augenprobleme gehabt hatte, erblindete er. Er übergab seine Materialsammlung deshalb Johann Carl von Fichard genannt Baur von Eysseneck (1773-1829; der Name ist dadurch zu erklären, dass Fichards Vater adoptiert worden war und den Namen seines Adoptivvaters angenommen hatte), einem Privatgelehrten, der sich durch die Veröffentlichung damals grundlegender Werke zur Stadtgeschichte um die Erforschung der Geschichte Frankfurts verdient gemacht hatte. Fichard ergänzte die Aufzeichnungen Battonns mit zahlreichen eigenen Aufzeichnungen und Kommentaren und wertete dafür eine Vielzahl weiterer Quellen aus, unter anderem Stadtrechnungsbücher und Schöffengerichtsprotokolle. Der Informationsgehalt konnte dadurch wesentlich erweitert werden. Fichard erblindete dann jedoch ebenfalls und konnte das Werk deshalb ebenso wenig vollenden wie Battonn. Immerhin kündigte er am Ende des 1828 erschienenen ersten Bandes der von ihm herausgegebenen historischen Zeitschrift "Wetteravia" (der Name bezieht sich auf die nahegelegene Wetterau) die Herausgabe des Werkes an und charakterisierte es so:
"Das Ganze beginnt mit einer Einleitung über den ersten Anbau des Ortes Frankfurt - gehet dann auf die beiden königlichen Paläste - die Mauern der Stadt, die älteste, mittlere und neueste, - die Land- und Wasserpforten und die ehemalige Vorstadt Fischerfeld über. Es beschäftigt sich dann mit der Altstadt selbst, die nach der alten Abtheilung in die Ober- und Niederstadt, von Straße zu Straße, von Haus zu Haus, nach einer genauen Folge durchgangen wird. Die älteste Geschichte jeder Straße - jedes Hauses -, jedes öffentlichen Gebäudes und Platzes, jedes Bronnens u. s. w. wird - so weit es möglich war, urkundliche Nachrichten beizubringen -, beschrieben, alle Abänderungen der ältern und neuern Zeit bemerkt, (so weit die Gränze dieser Beschreibung reicht) und viele Namen-Wechsel der Straßen, Plätze und Häuser angeführt. (...)"
Gegenstand des Werks sind außer der Altstadt die damalige Neustadt und Sachsenhausen, sodass ein vollständiges Bild des Frankfurt des ausgehenden 18. Jahrhunderts entsteht. Fichard bemerkt, dass "bis jetzt von keiner teutschen Stadt ein ähnliches [Werk] vorhanden ist" und das gilt - wenn man es auf die Beschreibung einer Stadt des 18. Jahrhunderts bezieht - noch heute.
Der Weg zur Veröffentlichung war freilich lang. Fichard starb 1829. Sein Nachlass kam ins Frankfurter Stadtarchiv. Der Frankfurter Stadtarchivar und (seit 1830) Stadtbibliothekar Johann Friedrich Böhmer (1795-1863), seinerzeit ebenfalls ein bedeutender Historiker, der u. a. mit dem Romantiker Clemens Brentano befreundet war, kündigte 1836 im Vorwort zu einer Sammlung der Urkunden der Reichsstadt Frankfurt an, das Werk herausgeben zu wollen, kam dann aber aufgrund anderer Verpflichtungen nicht dazu. Ediert wurde das Battonn'sche Werk deshalb erst 1861-75 durch den Direktor des Frankfurter Vereins für Geschichte und Altertumskunde, Ludwig Heinrich Euler. Man entschied sich, die Aufzeichnungen Battonns mit den Ergänzungen Fichards zu veröffentlichen und keine weiteren Ergänzungen vorzunehmen. Die sieben Hefte (Bände) dieser ersten und einzigen Ausgabe stellen also ein Gemeinschaftswerk von Battonn und Fichard dar.
Wer sich ein detailliertes Bild vom Frankfurt des 18. Jahrhunderts - und damit dem Frankfurt der Goethezeit - machen möchte, der kommt bis heute an der "Oertlichen Beschreibung der Stadt Frankfurt" nicht vorbei. Exemplare im Antiquariatshandel sind allerdings nicht ganz billig. Teile stehen digitalisiert im Internet zur Verfügung.
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Textquellen:
Battonn, Johann Georg: Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main. Hg. durch den Verein für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt am Main durch Ludwig Heinrich Euler. 7 Hefte, Frankfurt am Main, 1861-75.
Digitalisatz eines Heftes: abgerufen von >https://archive.org/details/oertlichebeschr00amgoog/page/n4/mode/2up< am 27.11.2020.
Johann Georg Battonn in der Allgemeinen Deutschen Biographie: abgerufen von >https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Battonn,_Johann_Georg< am 27.11.2020.
Johann Georg Battonn in der Neuen Deutschen Biographie: abgerufen von >https://www.deutsche-biographie.de/sfz2223.html< am 27.11.2020.
Johann Carl von
Fichard in der Allgemeinen Deutschen Biographie: abgerufen von >https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Fichard_genannt_Baur_von_Ey%C3%9Feneck,_Johann_Carl_von
< am 27.11.2020.
Johann Carl von Fichard in der Neuen Deutschen Biographie: abgerufen von >https://www.deutsche-biographie.de/gnd104352566.html#ndbcontent< am 27.11.2020.
Die Zeitschrift "Wetteravia" bei Google Books (siehe die Ankündigung am Ende): abgerufen von >https://books.google.de/books?id=IDwAAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false< am 27.11.2020.
Bildquellen:
Vorschaubild: Titelbild der Publikation: Battonn, Johann Georg: Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main. Hg. durch den Verein für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt am Main durch Ludwig Heinrich Euler. 7 Hefte, Frankfurt am Main, 1861-75 abgerufen von > >https://archive.org/details/bub_gb_HhcEAAAAYAAJ< am 23.03.2021.
Innenansicht des Arnsburger Hofes, 1872, Urheber: Peter Becker via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Johann Karl von Fichard, 1804, Urheber: Johann Carl Rößler via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Johann Friedrich Böhmer, 1845, Urheber: Amélie de Barrelier via Wikimedia Commons Gemeinfrei.