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Jürgen Krätzer

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Jürgen Krätzer eröffnet uns eine neue Sicht auf den Autor. Er war eine faszinierende Persönlichkeit, ein kluger Kopf mit spitzer Zunge und sensiblem Herzen – ein „Freigeist“.

Schloß Rödelheim

Schloß Rödelheim

Sabine Gruber

von Alexander von Tromlitz (August von Witzleben)

Dass ein privatisierender Angehöriger des Militärs, der auf einem Gut in Thüringen geboren wurde und nie im Rhein-Main-Gebiet lebte, dennoch als Autor einer historischen Erzählung über das Schloss der Grafen von Solms-Rödelheim im damals noch selbstständigen Ort Rödelheim bei Frankfurt hervortrat, klingt ungewöhnlich. Es ist allerdings nicht mehr so überraschend, wenn man weiß, dass August von Witzleben zeitlebens an Literatur und Geschichte interessiert war und in seiner Freizeit, vor allem nach seinem frühen Rückzug ins Privatleben, unter dem Pseudonym Alexander von Tromlitz seinerzeit viel beachtete literarische Werke verfasste. Er trat mit so zahlreichen Erzählungen, Romanen und Dramen hervor, dass diese noch zu seinen Lebzeiten von 1829 bis 1833 in 36 Bänden erscheinen konnten und die Sammlung bereits wenige Jahre später durch zwei weitere, jeweils ebenfalls 36bändige, Sammlungen ergänzt werden konnte.

August Friedrich von Witzleben wurde 1773 auf Gut Tromlitz in Thüringen geboren. Später leitete er sein Pseudonym aus dem Namen dieses Gutes ab. Er besuchte erst das Gymnasium in Halle, dann eine so genannte „Pagenschule“ in Weimar und erhielt schon in jungen Jahren eine praktische Ausbildung beim preußischen Militär. Später diente er unter anderem dem Herzog von Braunschweig, stand dann in russischen Diensten und zog sich nach einer erfolgreichen militärischen Laufbahn 1814 ins Privatleben zurück. Er lebte auf einem Gut bei Halle, in Berlin, Dresden und Radebeul und widmete sich jetzt ganz seinen literarischen Neigungen. Bereits in jüngeren Jahren soll Schiller sein Talent erkannt und ihn zum Schreiben ermuntert haben. Witzleben hatte aus seinen vier Ehen vier Kinder, von denen zwei ebenfalls eine militärische Laufbahn einschlugen und ein Sohn zusätzlich eine literarische. 1839 starb er in Dresden. Auch wenn seine Werke heute vergessen sind, war August von Witzleben zu seiner Zeit ein Erfolgsautor, der in manchem den deutschsprachigen Realismus vorwegnahm. Max Mendheim rechnet ihn in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ zu „den besseren der zahlreichen Nachahmer Walter Scotts“. Eine zeitgenössische Rezension seiner „Sämmtlichen Schriften“ aus der „Zeitung für die Elegante Welt“ bezeichnet ihn allerdings als „angenehmen Schwätzer“.

Beim Verfassen von „Schloß Rödelheim“ konnte von Witzleben auf seine militärischen Kenntnisse zurückgreifen, denn die Erzählung spielt im Dreißigjährigen Krieg während der Belagerung Rödelheims durch die Spanier. Sie beginnt mit einer Schilderung der Situation zu Beginn des Krieges als Friedrich von der Pfalz die böhmische Krone errungen und „seine Erblande, die schöne Pfalz, der eigenen Vertheidigung überlassen“ (dieses und die folgenden Zitate stammen aus der Erzählung) hatte, und einem längeren biografischen Abriss Ambrosio Spinolas, der die kaiserlichen Truppen gegen die protestantischen Reichsfürsten unterstützte und 1620 in die Kurpfalz vorrückte. Der erste Abschnitt, eine Art Vorspann, endet mit der Feststellung „Spinola nahm sein Hauptquartier in Kreuznach“. Mit dem Beginn des ersten Kapitels wechselt der Schauplatz: „Unfern Frankfurt liegt auf einer kleinen Insel, welche die Nidda bildet, das Städtchen Rödelheim mit einem bedeutenden Schlosse, das Graf Friedrich von Solms, der damalige Besitzer, stark befestigen und mit allem zur Vertheidigung Nöthigen hatte versehen lassen. Durch den Anmarsch der Spanier bewogen, verließ er jedoch seine feste Burg und ging nach Nürnberg, um weit genug von dem Kriegsschauplatz zu seyn.“

Mit dem Wechsel des Schauplatzes treten die eigentlichen, in der Hierarchie deutlich niedriger angesiedelten, Protagonisten auf: der Hauptmann Hans Sperreuter, der für die Verteidigung des Schlosses zuständig ist, „Sohn eines armen Seilers aus Rödelheim“, und der Rüstmeister Peter Drilling, den Sperreuter im Krieg kennengelernt und mit auf das Schloss gebracht hat. Die große Geschichte und die Rödelheimer Regionalgeschichte finden im zweiten Kapitel zueinander, als die Spanier „im Besitz der ganzen Pfalz auf dem linken Rheinufer“ jetzt auch das rechte Rheinufer in Besitz nehmen wollen. Spinola schickt den Grafen von Isenburg zusammen mit dem jungen Niederländer Franz von Sluys (gerüchtehalber sein unehelicher Sohn) zu Verhandlungen nach Frankfurt, weil er einen militärischen Angriff auf die gut befestigte Stadt nicht wagt. Letzterer verliebt sich – soviel Romantik musste auch in einem historischen Roman sein – in Frankfurt in das junge Bürgermädchen Felicitas, ausgerechnet die Tochter Sperreuters. Während Sluys ganz unkriegerisch nach Wegen sucht, mit dem Mädchen anzubandeln, versuchen Sperreuter und Drilling Rödelheim auf eine Belagerung vorzubereiten. Dabei geraten sie in heftige Wortgefechte, die bei Drilling von seinem – vor allem privat motivierten – Hass auf die Spanier geprägt sind. Als Sperreuter von der beginnenden Liebe seiner Tochter zu dem spanischen Offizier erfährt, lässt er sie sofort nach Hause holen. Der traurige Liebhaber folgt ihnen bis zum Schlosstor.

Nach der Auflösung der Protestantischen Union im April 1621 verhandelt die Stadt Frankfurt direkt mit Wien, lehnt die Angebote des Fürsten Isenburg ab und Isenburg und Sluys müssen nach Kreuznach abreisen. Sluys versucht, wieder nach Frankfurt zu kommen, indem er Spinola bittet, sich Isenburg bei dessen Versuch anschließen zu dürfen, Truppen in der Frankfurter Gegend festzusetzen. Auch Rödelheim soll besetzt werden. Als sich in Rödelheim eine Belagerung abzeichnet, rät Felicitas‘ Tante, Sluys ins Schloss zu locken und als Geisel zu nehmen, was mit Hilfe der ahnungslosen Felicitas auch gelingt. Zu einer von Spinola erbetenen Verhandlung schickt Sperreuter ausgerechnet den hasserfüllten Drilling, der heimlich plant, das Schloss bei der Einnahme durch die Spanier in die Luft zu sprengen. Nach der Einnahme des Schlosses durch Spinola und nachdem dieser von der Liebesgeschichte erfahren hat, billigt er Sperreuter und Drilling erleichterte Bedingungen zu. Dennoch versucht Drilling, Sluys zu ermorden, wird dabei entdeckt und zum Tode verurteilt. Sluys entpuppt sich in einer spannungsgeladenen Szene kurz vor Schluss als dessen Sohn, was zur Begnadigung Drillings führt. Es gibt ein glückliches Ende: Felicitas darf Sluys heiraten. Sluys‘ Vater wird jedoch trübsinnig und stirbt, ist aber – so seine Hoffnung – im Jenseits wieder mit seiner von den Spaniern entführten Frau vereint.

Tatsächlich wurde Rödelheim und seine Umgebung 1621 von spanischen Truppen unter Spinola belagert. Seine Protagonisten und deren Schicksale hat von Witzleben jedoch erfunden, um den Lesern die Historie näher zu bringen. Die Erzählung galt den Zeitgenossen als eine der schwächeren aus seiner Feder, ist aber, trotz mancher kolportagehafter Szenen und nationalistischer Äußerungen, insoweit interessant, als sie den heutigen Frankfurter Stadtteil Rödelheim einmal nicht als Ausflugsort der Frankfurter zeigt, sondern als das, was er jahrhundertelang war: ein strategisch günstig gelegener Ort, der zum Leidwesen der Bevölkerung immer wieder Ziel von Belagerungen und Truppenbewegungen wurde.


*****

Textquellen:

Sämtliche Schriften von A[lexander]. von Tromlitz. Zweite Sammlung. Achtundzwanzigstes Bändchen. Schloß Rödelheim. Das Lotterie-Loos. Dresden/Leipzig, 1836.

Mendheim, Max: Witzleben, August von. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Dreiundvierzigster Band. Leipzig, 1898, S. 665f.

Volkert, Dominica: Tromlitz, A. von. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. v. Walter Killy. Bd. 11. Gütersloh/München, 1991, S. 427.

Zeitung für die Elegante Welt. 37. Jg. 1837, S. 652.

> https://de.wikipedia.org/wiki/August_von_Witzleben < abgerufen am 31.12.2018.


Bildquellen:

Vorschaubild: Schloss Rödelheim nach Prestel, 1905, Urheber: Ferdinand Luthmer via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

August von Witzleben, 1865, Urheber: unbekannt; bereitgestellt durch Historiograf via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Ansicht der mittelalterlichen Teile des Rödelheimer Schlosses, Aquarell, 1867, Urheber: Carl Theodor Reiffenstein; bereitgestellt durch: Lumpeseggl via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Ansicht der mittelalterlichen Burg Rödelheim, 1446, Urheber: Sebald Fyoll via Wikimedia Commons Gemeinfrei.


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