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156 Seiten, ab 12 Jahre
ISBN: 978-3-937601-31-1
Preis: 12,80 €

Doktor Faust in Frankfurt

Doktor Faust in Frankfurt

Karl Wilhelm Ferdinand Enslin

Karl Wilhelm Ferdinand Enslin wurde am 21. Oktober 1819 in Frankfurt am Main geboren. Zeit seines Lebens blieb er in Frankfurt und starb dort im Alter von nur 55 Jahren, am 14. Oktober 1875. Als Schullehrer und Volksdichter ist er uns heute durch seine Kinder- und Weihnachtsgedichte bekannt. Philipp Friedrich Silcher und Benedikt Widmann vertonten nämlich eben diese und machten sie zu geradezu Volksliedern. Zu den Bekanntesten gehören „Kling, Glöckchen, klingelingeling" und „Guter Mond, du gehst so stille".
Seiner Vaterstadt widmete Enslin 1861 das Frankfurter Sagenbuch, Sagen und sagenhafte Geschichten aus Frankfurt am Main, dem folgende Geschichte entnommen ist:
Anna Hein
 
 

Doktor Faust in Frankfurt

 

Daß der weitberufene Schwarzkünstler und Erzerbauer in Wittenberg, Erfurt, Leipzig und anderen Städten sein Wesen getrieben, ist bekannter, als daß er auch einmal in Frankfurt am Main war. Was er nun hieselbst gezaubert, soll nach den alten Faustbüchern wahrheitsgetreu erzählt werden.
Es war in der Fastenzeit, da kam Dr. Faustus in die Messe nach Frankfurt uns hörte, daß in einem Wirtshause bei der Judengasse vier Zauberer seien, die einander die Köpfe abhieben und wieder aufsetzten. Das aber verdroß den Zauberdoktor, der vermeinte, ihm allein komm' es zu, solche Thaten zu vollbringen.
Deshalb ging er hin, sie zu Schanden zu machen, was ihm denn auch ganz vorzüglich gelang mit des Teufels Hülfe, dem er seine arme Seele verschrieben.
Er fand die Zauberer beisammen; sie hieben sich nach der Reihe auf einem rothen Teppich, der auf dem Boden lag, den Kopf ab, übergaben denselben einem Barbierer, der ihn zwicken und zwacken mußte; sodann setzten sie vor aller Leute Augen den Kopf wieder auf den Halsstumpf; und sogleich sprang der Geköpfte mit festgewachsenem Kopfe wieder frisch und gesund in die Höhe.
Das war selbst dem Erzzauberdoktor etwas zu stark; aber bald hatte er ihr Geheimnis entdeckt.
Auf dem Tisch nämlich hatten die Kopfabhauer ein Gefäß mit destilliertem Wasser stehen - und allemal, wenn ein Kopf ab war, wuchs aus dem Gefäß eine Lilie empor, die wieder verschwand, wenn der Kopf wieder auf dem alten Fleck saß.
Nun kam gerade die Reihe an den Hauptzaubermeister. Als diesem der Kopf abgehauen war, schlich Dr. Faust leise an den Tisch und schlitzte den Lilienstengel aus einander, ohne daß es jemand gewahr wurde.
Und als nun der Kopf wieder aufgesetzt werden sollte, ging es nicht, und der Hauptzaubermeister war und blieb todt. Mußte also der böse Mensch in Sünden sterben und verderben. Faust aber ergötzte sich baß darüber, daß ihm sein Streich also gelungen war. -
Das Kopfabschneiden ist auch jetzt noch an der Tagesordnung - bei den herumziehenden Zauberern und Magiern nämlich, von denen sich in Meßzeiten die Leute für ihr Geld diesen Schaueranblick zeigen lassen.
Die Lilie ist das Sinnbild des Lebens und der Unsterblichkeit - die Lebenswurzel.
Der Glaube an den Erfolg des Durchschlitzens der Lilie beruht auf Sympathie, wie in folgendem Beispiele:
Was man dem Porträt einer Person anthut, geschieht der Person selbst; in demselben Augenblicke, als man dem Porträt die Augen ausgestochen. Und was man dem Bilde Liebes und Gutes zufügt, geschieht auch dem Menschen.
Wer dies aber nicht glaubt, dem kann nichts Besseres gerathen werden, als daß er es bleiben lasse. Den Doktor Faust aber hat schon lange der Teufel geholt; er kann also keine Lebenslilie mehr durchschlitzen.
Unsere ehrwürdigen Altvordern aber müssen doch ziemlich stark gewesen sein - im Glauben.

 

 

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Textquelle: Karl Enslin: Frankfurter Sagenbuch. Sagen und sagenhafte Geschichten aus Frankfurt am Main. Neue Ausgabe. Frankfurt a. M., H. L. Brönner 1861, S. 79 f.

Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989-0728-005 / CC-BY-SA. gemeinfrei, wikipedia

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