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"Die keltische Freude am Geschichtenerzählen macht den Zauber der walisischen Literatur aus."

Kurzgeschichten aus Wales herausgegeben und übersetzt von Frank Meyer und Angharad Price.

Der verteufelte Königssohn

Der verteufelte Königssohn

Karl Wilhelm Ferdinand Enslin

Karl Wilhelm Ferdinand Enslin (1819-1875) fasste zunächst den Plan, historische Aufsätze über seine Heimatstadt Frankfurt zusammenzutragen und zu verfassen, die sich an ein größeres Publikum richten, die historischen Gegebenheiten bekannt machen und Liebe zu seiner Vaterstadt hervorrufen sollten. Bald aber entwickelte sich das Buch durch Recherchen und Sammeltätigkeit zu einer Sammlung von hauptsächlich Sagen. Enslin beschloss ein Frankfurter Sagenbuch herauszugeben, das es bisher noch nicht gab. Er bediente sich verschiedener Quellen, hauptsächlich Sagensammlungen, auch der der Brüder Grimm, und Geschichtsbüchern über Frankfurt, die er bearbeitete.
Anna Hein
 

Der verteufelte Königssohn

Nach Karls des Großen Tode gingen die Karolinger mit dem großen Frankenreich um, als wär´s ein Gemüsegärtlein. Da wurden die Beete geteilt, dann wieder vereinigt, dann wieder geteilt und nochmals geteilt und abermals geteilt - so daß vor lauter Teilen Keiner mehr recht wußte, wem dies Stücklein Krautland gehöre und wem jenes Ecklein Rüben.
Und dabei ewiger Zwist zwischen Vätern und Söhnen und Brüdern und Enkeln, so daß man wirklich glauben möchte, der Teufel sei hier mit im Spiel und säe überall Zwietrachtssamen und Unkraut.
Aber er war auch dabei. 

König Ludwig, der Deutsche genannt, wollte einmal wieder Ordnung herstellen und zeigen, wer Herr im Hause sei. Deshalb beschied er seine gegen ihn aufrührerischen Söhne Ludwig und Karl nach Frankfurt am Main; denn hierher war er gekommen, um in seinem Palast das Weihnachtsfest zu feiern. Hier sollten sie bereuen und Buße thun und sich wieder mit ihrem Vater aussöhnen.
Und sie kamen auch; aber der Teufel kam mit.
Wie sie nun so manches herbe Wort über ihren Ungehorsam vernehmen mußten, so war´s dem Karl doch fast leid, daß er gekommen war. Das merkte nun aber der Teufel und verwandelte sich schnell in einen Engel des Lichts, trat zu Karl hin und sagte ihm ins Ohr: „Sei ruhig, Männlein und blei´! Du kriegst doch Alles! Dein Vater will´s freilich den Andern geben; aber das wäre ja eine Beleidigung gegen die Majestät des Herrn Himmels und der Erben!"
Aber dem Karl stieg diese Nachricht also zu Gehirn daß er rasend wurde und besessen in die nächste Kirche rannte. Der Teufel jedoch ließ nicht ab, folgte ihm und sagte: Aber so stelle dich doch nicht so ungebärig bei solch himmlischer Runde! Was wüthest du denn und fürchtest dich und fliehst mich! Dürft´ ich dir denn an diese heilige Stätte folgen, wenn ich ein höllischer und nicht ein himmlischer Gesandter wäre, der dir die Zukunft enthüllt!"
Und um seine schlimme Sendung ganz zu vollenden, gab der Böse dem bethörten Königssohn sogar das Abendmahl mit eigner Hand; mit dem Genuß der Hostie fuhr er aber vollends in ihn hinein; und so hatte also wirklich jetzt Karl den Teufel im Leibe.
Da kamen sein Vater und die Großen des Reichs, Bischöfe und andere Leute, um den verlorenen Sohn zu suchen.
Der aber brüllte und schäumte in teuflischer Wuth, schlug um sich, verwünschte die ganze Welt und drohte Alles zu zerreißen.
Sechs Männer konnten ihn kaum halten; er riß Wehrgehenk, Schwert, Gürtel und Kleider vom Leibe und schleuderte es zu Boden. Der Teufel aber schüttelte ihn immer heftiger.
Da trat der Erzbischof hinzu und las eine Messe - lateinisch. Karl aber kam nicht zur Besinnung, sondern schrie immerfort: „Weh´! Weh´!"
Und sein Vater Ludwig sprach: „Siehst du nun, mein Sohn, mit wem du dich verbunden hast, boshafte Anschläge gegen mich zu schmieden! Siehst du, daß Alles an den Tag kommt! Bekenne dein Verbrechen, so will ich dir verzeihen, und Gott wird dir auch vergeben!"
Da rüttelte sich Karl noch einmal mächtig; denn wie der Teufel den Namen Gottes gehört hatte, fuhr er aus; und Karl bekannte nun seinen Ungehorsam gegen seinen Vater.
Später nannte er die Kirche, in der dies geschah, dem Erlöser zu Ehren, Salvatorskirche (spätere Bartholomäuskirche), weil er darin vom Teufel erlöst wurde.
Ob nun aber der Teufel in ihm gesteckt, oder ob er nur diesen Teufelsstreich ausgeübt, um seinen Vater zum Mitleid zu bewegen, darüber sind die Gelehrten nicht einig.
Schlecht ging es ihm aber auch nachher noch, diesem Karl dem Dicken; denn als er wirklich Alleinherr des Reichs geworden war, setzten ihn die Großen wieder ab, und von treulosen Dienern soll er bald darauf erwürgt worden sein.
Doch nach dieser Zeit ist in dem Gemüsgärtlein auch noch viel Unkraut in die Höhe geschossen.

 

 

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Textquelle: Karl Enslin: Frankfurter Sagenbuch. Sagen und sagenhafte Geschichten aus Frankfurt am Main. Neue Ausgabe. Frankfurt a. M., H. L. Brönner 1861, S. 9-12.

Bildquelle: "Ludwig der Deutsche" aus Die Deutschen Kaiser von Max Barack. gemeinfrei, wikipedia

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