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Sommerschnee

Berndt Seite

Hardcover, 124 S., 2020 erscheint demnächst; Bereits vorbestellbar

ISBN: 978-3-86397-134-2
Preis: 15,00 €

Sommerschnee – das sind die luftig-bauschigen Samenfasern der Pappelfrüchte, die sich im Sommer öffnen und die Welt mit ihrem weißen Flaum überziehen: Schnee in der wärmsten Jahreszeit. Mal melancholisch, mal mandelbitter, aber stets in größter Genauigkeit geht Berndt Seite auch in seinem neuen Lyrikband den Erscheinungsformen der Natur nach und lotet in ihnen die Bedingungen des Lebens aus.

Johannes Vest von Creußen

Johannes Vest von Creußen

Sabine Gruber

Der junge Mann gab sich große Mühe. In der etwas verschnörkelten Sprache seiner Zeit bat er im Jahr 1605 „unterthänigst zue vernehmen, dass Innhalts hierbey gefügter Uhrkunde Ich nicht allein das Haffner Handwerkh, sondern auch dass Possiren unnd darzu dienstliche Formschneiden erlernnet und inn solche Uebung gepracht, dass damit (ohne Ruhm zu melden) vielen Leuthen, hohen und niederen Standes nicht wenigers auch den Meystern des Hafner Handwerks allhier zu ihrem Nutz und Wohlgefallen gedienet werden, Dieweill dann mit meiner wohlgeübten Kunst und nuzlichen Arbeyt Ich nuhn biss inn dass zehende Jaar alhie bekant unnd vermittelst deselben und göttlicher Hilfe mich inn Ehren zu ernehren weiss und in dieser löblichen und weythberümbten des Heyligen Römischen Reichs Statt Frankfurth unter E. E. und P. W. Schutz und Schirmb hausslichen niderzulassen ein besondere Begierde trage [...]." Offensichtlich wollte er nicht unverschämt auftreten und fügte deshalb die Bemerkung "ohne Ruhm zu melden" ein, aber er wollte doch auch nicht zu bescheiden sein und zählte die beiden Handwerke auf, die er gelernt hatte: Hafner, also Töpfer, und Bossierer, also Hersteller von Keramikmodellen (d. h. er war nicht nur Handwerker, sondern auch eigenständiger Künstler, der Modelle für andere Handwerker schuf). Weiter unten im Text bot Vest sogar noch die für die damalige Zeit sehr hohe Summe von "Ein Hundertt Gülden mit meyner Vaust verdients bars geldts" für die Erlangung des begehrten Frankfurter Bürgerrechts an.

Da passierte etwas Erstaunliches: Man gab ihm das, was er wünschte und wofür er eine hohe Summe aufwenden wollte, umsonst. Und das, obwohl noch Jahrhunderte später bedeutende Kaufmannsfamilien wie die Brentanos ebenso hohe Summen aufwenden mussten, um das begehrte Bürgerrecht der "weythberümbten des Heyligen Römischen Reichs Statt Frankfurth" zu erhalten und nicht selten lange darauf warten mussten. Der Grund für die erstaunliche Wendung war, dass der Bittende, der Hafner Johannes Vest aus Creußen in Oberfranken, über damals sehr begehrte Fähigkeiten verfügte und in seiner Heimat Techniken erlernt hatte, die in Frankfurt noch nicht geläufig waren.

Johannes Vest stammte aus einer Creußener Töpferfamilie, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus Österreich dort eingewandert war. Sie hatten sich nicht zufällig im etwa 13 km südlich von Bayreuth gelegenen Creußen angesiedelt, sondern gezielt in einem damaligen Zentrum der Töpferkunst. Dass Creußen über die Jahrhunderte hinweg ein solches war, macht bereits der Ortsname deutlich, der von "Bruch, zerbrechlich, spröde" kommt. Auch das Creußener Wappen ziert seit dem 16. Jahrhundert in der Mitte ein Krug. Seit 1550 sind die Brüder Thomas und Caspar Vest in Creußen urkundlich nachweisbar. Der am 3. Februar 1575 getaufte und vermutlich kurz davor geborene Johannes Vest war einer von drei Söhnen Caspar Vests. Auch seine jüngeren Brüder Caspar und Georg waren als Töpfer tätig. Johannes scheint aber der begabteste von ihnen gewesen zu sein.

Wie damals üblich, erlernte Johannes Vest sein Handwerk in der Werkstatt seines Vaters. 1598 zog er nach Nürnberg, um auch dort in einer Töpferwerkstatt zu arbeiten. Frankfurt lernte er wohl zunächst als Besucher oder Beschicker der dortigen Messe kennen. Jedenfalls war er bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts in Frankfurt bekannt, und stand offenbar in Geschäftsbeziehungen mit Frankfurtern, was sicher nicht unwesentlich für seinen schnellen Erwerb des Bürgerrechts war. Gegen Ende seines Gesuchs um das Bürgerrecht äußerte Vest, dass er gern in Frankfurt heiraten wolle. Wann ihm das glückte, ist unbekannt, aber es ist erwiesen, dass er eine Frau namens Margarete ehelichte, deren Geburtsname nicht bekannt ist. Die Heiratsdokumente sind nicht erhalten, jedoch eine Quelle aus dem Jahr 1612, in der Margarete als Witwe Johannes Vests und als Ehefrau Philipp Hartlins erwähnt wird. Johannes Vest konnte also nur wenige Jahre lang sein Leben als angesehener Frankfurter Bürger genießen. Das Totenbuch des Frankfurter Standesamts verzeichnet seinen Tod am 6. Oktober 1611.

In der kurzen Zeit seines Wirkens in Frankfurt hinterließ Vest trotz seiner äußerst zerbrechlichen Kunst einige bleibende Spuren. Bei den überlieferten Keramiken aus Vests Nürnberger und Frankfurter Zeit ist eine klare Zuschreibung allerdings oft schwierig, weil es lange Zeit nicht üblich war, diese Gegenstände zu signieren. Wenige Werke Vests wurden signiert und lassen einen individuellen Stil erkennen, der sich auch in anderen – unsignierten – zeitgenössischen Keramiken findet. Seine Signatur "Johannes Vest von Creussen 1599" trägt zum Beispiel eine Kachel mit einer allegorischen Darstellung des Glaubens. Dieses filigrane, sich auf einen kleinen Raum beschränkende Werk ist dennoch als Kunstwerk im Stil der Renaissance beachtlich: Die schreitende Figur mit den typischen Attributen Kreuz und Kelch ist mit einer Landschaftsdarstellung mit Bäumen, Felsen und einem Haus kombiniert, und ihr Gesicht und ihre Mimik sind fein ausgearbeitet.

Das Bruchstück einer anderen signierten und auf das Jahr 1609 datierten Kachel, auch sie ein erstaunliches kleines Kunstwerk, zeigt ein Relief mit einem Porträt und dem Wappen des Mainzer Erzbischofs Johann Schweikard von Cronberg (1553-1626). Die Kachel hatte wohl einmal als Wandschmuck im durch einen Brand zerstörten Aschaffenburger Kapuzinerkloster gedient. Viele Werke Johannes Vests wurden nicht signiert oder die Signatur ist im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen. So gab es vor dem Zweiten Weltkrieg in Frankfurt zahlreiche Ofenkacheln und Kachelöfen (darunter zwei im Goethehaus) mit dem Bildprogramm der Renaissance - antiken Göttern und Göttinnen, Allegorien der Tugenden, der vier Elemente, von Tag und Nacht oder den Jahreszeiten - die eher den damals in Nürnberg üblichen Stil als den regionalen Stil repräsentierten und vermutlich Werke Johannes Vests waren. Jedenfalls war er der einzige Töpfer seiner Zeit, der aus Nürnberg nach Frankfurt gezogen war. Im niederösterreichischen Schloss Ottenstein hat sich ein kompletter dunkelgrün glasierter Ofen erhalten, dessen alttestamentarisches Bildprogramm – Abraham, Moses, Joseph und David – von Johannes Vest entworfen worden ist. Auch in Frankfurter Museen sind Kacheln erhalten, die Vest zugeschrieben werden können. Trotz seines frühen Todes mit 36 Jahren und der Zerbrechlichkeit seiner Kunst wirkte das Werk Vests nicht nur in Frankfurt, sondern auch in seiner fränkischen Heimat nach. So wurden in Creußen noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts Krüge nach Modellen des Jahrzehnte zuvor verstorbenen Johannes Vest hergestellt.

 

 

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Textquellen

Fröhlich-Bum, Lili: Parmigianino und der Manierismus, Wien, 1921.

Glaser, Silvia: Vest, Johann in: Nürnberger Künstlerlexikon: Bildende Künstler, Kunsthandwerker, Gelehrte, Sammler, Kulturschaffende und Mäzene vom 12. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Hrsg. von Manfred Grieb unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter, Bd. 3: Pf - Z, München, 2007, S. 1574.

Keramik aus 5000 Jahren: Hundert Meisterwerke aus dem Hetjens-Museum Düsseldorf von Adalbert Klein, Aufnahmen von Carlfred Halbach, Düsseldorf, 1969.

Kölner Ofenkacheln: Die Bestände des Museums für angewandte Kunst und des Kölnischen Stadtmuseums, bearbeitet von Ingeborg Unger mit einem Beitrag von David Gaimster, Köln, 1988.

Simon, Karl: Johannes Vest v. Creussen in Frankfurt am Main in: Monatshefte für Kunstwissenschaft. Bd. 14 (1921), Nr. 1, S. 56-69 (daraus das Zitat, in dem Vest um das Bürgerrecht bat).

>https://de.wikipedia.org/wiki/Creu%C3%9Fen< abgerufen am 06.02.2023.

 

Bildquellen:

Vorschaubild: Traditional-pottery-workshop, 2008, Urheber: Edal Anton Lefterov via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.

 

 

 

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