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"... mein Leben, das allerqualvollste, das ein Mensch je geführt hat." So schrieb Heinrich von Kleist an eine seinem Herzen nahe stehende Verwandte wenige Stunden, bevor er sich mit seiner Todesgefährtin am Wannsee erschoss.

Das Große Frankfurter Stadtgeläute

Das Große Frankfurter Stadtgeläute

Ralph Zade

Zehn Kirchen, fünfzig Glocken, die zusammen 64.805 Kilo wiegen - die schwerste ist mit 11.950 kg die 1877 gegossene Domglocke "Gloriosa", die leichteste die "Gemperlin" aus der Karmeliterkirche mit 20 kg - und ein Konzert im Sinne eines aufeinander abgestimmten Klangs - das ist das in Deutschland wohl einmalige Große Frankfurter Stadtgeläute.

Das Stadtgeläute hat eine lange Tradition, datiert in seiner heutigen Form aber aus dem 20. Jahrhundert. Erstmals läuteten alle Frankfurter Kirchenglocken Ende Oktober 1347 gemeinsam, zu Ehren Ludwigs des Bayern, des verstorbenen Kaisers. Und dieser Beginn ist symptomatisch, denn die Tradition des gemeinsamen Läutens aller Stadtglocken rührt vor allem von der Verbindung Frankfurts, das lange Zeit Krönungsort der Herrscher des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation war, mit dem Kaisertum her. Bei den Krönungsfeiern, bei denen nicht nur die Stadt, sondern auch Tausende auswärtiger Besucher auf den Beinen waren, und bei denen mit viel Pomp nach einem über Jahrhunderte gewachsenen Zeremoniell der neue Herrscher ins Amt eingeführt wurde, bot das Läuten der Stadtglocken, das frühmorgens am Tag der Kaiserwahl zum ersten Mal zu hören war, eine angemessene Untermalung.

Das eigentliche Konzert - also das aufeinander abgestimmte Läuten, das das Stadtgeläute so einzigartig macht, gegenüber einem einfach nur gleichzeitigen Läuten aller Stadtglocken, das es auch andernorts gibt - setzt freilich eine gezielte Koordination voraus und günstig für eine solche Abstimmung ist eine einheitliche Trägerschaft der Kirchen. Seit der Einführung der Reformation in Frankfurt im Jahre 1533 wurden die sechs lutherischen Kirchen in Frankfurt von der Stadt unterhalten, das Luthertum war die offizielle Religion der Stadt. Als in der napoleonischen Ära durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 die katholischen Stiftskirchen und zwei Klöster (das Dominikanerkloster und das Karmeliterkloster) säkularisiert wurden und an die Stadt Frankfurt fielen, befanden sich zehn Kirchenbauten unter deren Ägide. 1830 wurde dann mit dem Dotationsvertrag eine rechtliche Grundlage für das Zusammenwirken von Stadt und Kirchen geschaffen. Für die lutherischen Kirchen bedeutete das keine große Änderung, für die katholischen Kirchen aber wurde nun endgültig ein Status geregelt, der das Eigentum der Stadt an den Kirchengebäuden bei gleichzeitigen Unterhaltungspflichten, der Überlassung an die Kirchen für den Kultus sowie Besoldungsregelungen für die Geistlichkeit festschrieb. Die "Urkunde, die Dotation für den evangelisch-lutherischen Religionskultus dahier betreffend" und die "Urkunde, die Dotation für das Kirchen- und Schulwesen der hiesigen katholischen Gemeinde betreffend" wurden zur grundlegenden Regelung des Verhältnisses von (Stadt-)Staat und Kirche in Frankfurt, wobei letztere allerdings erst 1856 in Kraft trat - und damit nicht ganz zufällig in demselben Jahr, im dem am 6. Mai der Senat der Stadt ein allgemeines Glockengeläute zu den hohen christlichen Festen (Weihnachten, Ostern, Pfingsten) beschloss, vorerst noch ohne Abstimmung aufeinander.

Im Zweiten Weltkrieg wurden alle Frankfurter Dotationskirchen außer der Leonhardskirche bei Bombenangriffen zerstört und das gilt auch für ihre Glocken - allerdings war eine Reihe davon schon vorher für die kriegsbedingte Rohstoffgewinnung eingeschmolzen worden. Die Kirchen wurden zum großen Teil wieder aufgebaut, die Glocken konnten aber nicht wiederhergestellt werden. So kommt es, dass die heute beim Stadtgeläute betätigten Glocken mit wenigen Ausnahmen - dies sind neben nachträglich hinzugefügten die Domglocken von 1877 (die das 1867 durch einen Brand vernichtete historische Domgeläute ersetzt hatten) und die Barfüßerglocke in der Paulskirche von 1685 (die Paulskirche hatte 1833 die vor ihr am selben Platz stehende Barfüßerkirche ersetzt) sowie zwei weitere Paulskirchenglocken von 1830 - aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts stammen. Ebenfalls in den 50er Jahren (1954) schuf der Mainzer Orgelfachmann Paul Smets (1901-1960) einen Plan zur Abstimmung des Klangs aller am Stadtgeläute beteiligter Frankfurter Glocken, der dann auch weitgehend umgesetzt wurde, wofür die Tatsache, dass ein großer Teil dieser Glocken gleichzeitig oder einige Jahre später gegossen wurde, und so von Klang und Tonhöhe her angepasst werden konnte, ideale Bedingungen bot. Endgültig vollendet wurde das harmonische Zusammenspiel allerdings erst durch die Ergänzung dreier neuer Glocken in der Paulskirche 1987 und den Guss von Glocken für das Karmeliterkloster 1995. Das Läuten beginnt mit der Bürgerglocke der Paulskirche, der weitere Glockeneinsatz folgt einer festgelegten Abfolge der Kirchen - zuletzt und als krönende Vollendung setzt das Geläute des Doms ein.

Der Dotationsvertrag hat in seinen wesentlichen Teilen noch heute Gültigkeit, allerdings hat es bei den Kirchenbauten durch Abrisse und Kriegszerstörungen die eine oder andere Änderung gegeben. Am Großen Stadtgeläute beteiligt sind heute die folgenden Dotationskirchen: der St. Bartholomäus-Dom, die Alte Nikolaikirche, das Dominikanerkloster, die Liebfrauenkirche, die St. Peterskirche, die St. Leonhardskirche, die St. Katharinenkirche und die Dreikönigskirche in Sachsenhausen. Dazu kommen die Paulskirche und das Karmeliterkloster, die sich ebenfalls im Eigentum der Stadt Frankfurt befinden, aber keine Dotationskirchen mehr sind, da sie nicht mehr kirchlich genutzt werden.

Das Stadtgeläute findet mit je einer halben Stunde Dauer am Samstag vor dem Ersten Advent um 16 Uhr 30, am Heiligen Abend um 17 Uhr, am Karsamstag um 16 Uhr 30 und am Samstag vor Pfingsten um 16 Uhr 30 statt. Am 1. Januar läuten die Glocken ab Mitternacht für eine Viertelstunde das neue Jahr ein. Da man nicht alle Glocken von einem Standort aus hören kann, gibt es verschiedene Empfehlungen für Spaziergänge. Um alle Glocken hören zu können, darf man während der 30 Minuten des Läutens nicht lange stehen bleiben. Das Stadtgeläute zieht stets eine größere Anzahl von Menschen an und wurde deshalb während der Corona-Krise teilweise ausgesetzt und nur im Rundfunk ausgestrahlt.

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Textquellen:

Bund, Konrad (Hrsg.): Frankfurter Glockenbuch, Waldemar Kramer, Frankfurt am Main, 1986.

Bund, Konrad: Das Große Frankfurter Stadtgeläute, Stadtarchiv Frankfurt am Main, 2., verbesserte Auflage 1991 (= Begleitheft zu zwei durch das Stadtarchiv herausgegebenen Schallplatten "Das Frankfurter Domgeläute und das Frankfurter Große Stadtgeläute").

Webseite zum Stadtgeläute auf frankfurt.de: abgerufen von >https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/typisch-frankfurt/das-grosse-stadtgelaeute-von-frankfurt-am-main< am 13.03.2021.

HR-Video zum Stadtgeläute: abgerufen von >https://www.hr4.de/themen/glocken-in-hessen/das-grosse-frankfurter-stadtgelaeut,video-grosses-stadtgelaeut-frankfurt-100.html< am 13.03.2021.

Übersichtsseite zum Stadtgeläute von Dr. Harald Grohganz: abgerufen von >https://dev.grohganz.com/bells/< am 13.03.2021.


Bildquellen:

Vorschaubild: Die Glockenböden im Domturm, Datum und Urheber unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Wahlkapelle der römisch-deutschen Könige und Kaiser im Frankfurter Dom, 2018, Urheber: Maulaff via Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0.

Die Gloriosa ist die größte Glocke im Stadtgeläute, 2008, Urheber: Demicx via Wikimedia Commons CC BY 3.0.

Die erhalten gebliebenen Glocken Barfüßerglocke (links) und Dankesglocke (rechts), 1947, Urheber: Bundesarchiv, Bild 183-2005-0717-518 / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0 de.


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