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Ina Herrmann-Stietz

Seelenimpressionen

Leicht und spielerisch, aber auch selbstkritisch und Hilfe suchend sind die Verse dieses Lyrikbändchens. Ina Herrmann-Stietz teilt mit ihren Lesern Stimmungen und Ereignisse, Zweifel und Sinnsuche. Wie paradox, das sich der Leser in ihren persönlichen Erfahrungen selbst wiederfindet. Er kehrt zurück ins Land seiner Seele, seiner innersten Träume, kann dort Kraft schöpfen und mit erwachten Hoffnungen wieder ins Leben starten.

Die Hauptwache

Die Hauptwache

Ralph Zade

„Die Tatsache, daß ich in der Nacht verhaftet worden bin, und jetzt schon vier Tage sitze, ohne den Grund meiner Verhaftung erfahren zu haben, und ohne verhört worden zu sein, stellt die persönliche Freiheit, die ein Frankfurter Bürger genießt, in das schönste Licht. (...) Und wie wohlthätig sind auch die übrigen Folgen der nächtlichen Verhaftung! Der Gefangene vermißt nicht gleich anfänglich seine Freiheit, da ohnedies bei Nacht jedermann in seinem Zimmer eingesperrt ist. Im Schlafe vergißt er seine Leiden. Der Anblick des gestirnten Himmel flößt ihm, wie jedem Unglücklichen Trost ein; (...)“. Ludwig Börne, der hier die Umstände seiner Inhaftierung in der Hauptwache im Jahre 1820 schildert, fiel es leicht, dies satirisch zu tun, denn er wurde nach 14 Tagen wieder entlassen. So glimpflich verlief eine Inhaftierung in dem als Stadtwache und Gefängnis genutzten Gebäude nicht immer – der 1769 wegen diverser Vergehen hier in Arrest genommene Stadtpolitiker Johann Erasmus von Senckenberg (nach dessen älterem Bruder Johann Christian die heute noch bestehende Senckenbergische Stiftung und das Senckenberg-Naturkundemuseum benannt sind) blieb in der Stadtwache, bis er 1795 dort starb. Immerhin verbrachte er die Jahre seiner Haft in einem der Räume im Mansardengeschoss, die bessergestellten Persönlichkeiten vorbehalten waren. Das gemeine Volk saß im Untergeschoss ein, im sogenannten Schanzerloch, in dem sich mehrere Zellen befanden. Schanzer waren die Delinquenten, die zu Zwangsarbeit bei der Ausbesserung der Stadtbefestigung, der Schanzen, verurteilt worden waren. Hier war auch Johannes Bückler in Haft, bekannt geworden als Räuberhauptmann Schinderhannes. Sein Aufenthalt in der Hauptwache ging nicht gut aus. Zwar war er im Jahre 1802 nur wenige Tage in ihr inhaftiert, die anschließende Auslieferung nach Mainz führte dann aber zu seiner Hinrichtung.

Angesichts ihrer repressiven Funktionen ist es nicht verwunderlich, dass die Hauptwache in der Bevölkerung durchaus auch als Symbol der Obrigkeit gesehen wurde und zum Ziel revolutionärer Bestrebungen werden konnte: der Frankfurter Wachensturm am 3. April 1833, bei dem es studentischen Aufständischen unter der Führung von Gustav Bunsen kurzzeitig gelang, sie zu besetzen, war zwar – kurz nach dem Hambacher Fest 1832 – eines der bedeutenderen politischen Ereignisse der Vormärz-Epoche, dabei aber, da die Aktion vor ihrem Beginn verraten worden war, von Vornherein zum Scheitern verurteilt.

Der Barockbau wurde 1729/30 durch den Stadtbaumeister Johann Jakob Samhammer (1685–1745) an der Stelle eines älteren Wachgebäudes aus Holz aus dem für Frankfurter historische Gebäude typischen Mainsandstein errichtet. Verziert wurde er mit einem Giebelrelief von Johann Bernhard Schwarzenberger (1672–1741) unter dem charakteristischen Walmdach. Die Hauptwache war bis 1866 Sitz der Frankfurter Stadtwehr. Mit der Annexion Frankfurts durch Preußen wurde diese aufgelöst und die Wache ging in den Besitz des preußischen Militärs über, das sie weiter als Wachlokal nutzte, jedoch nicht mehr als Gefängnis. 1903 wurde der Militärstützpunkt verlegt; die Stadt Frankfurt kaufte das Gebäude zurück und verpachtete es – seit 1905 befindet sich dort ein Café. Leider war es aber nicht so, dass der Hauptwache nun ein friedliches Jahrhundert mit ziviler Nutzung vergönnt gewesen wäre. 1920 rückten deutsche Truppen ins Ruhrgebiet vor, um dort einen Arbeiteraufstand, den Ruhraufstand, niederzuschlagen. Da sie das nach dem Versailler Vertrag nicht hätten tun dürfen, wurde als Reaktion für einige Wochen Frankfurt von französischen Truppen besetzt, die auch in der Hauptwache Quartier nahmen. Am 7. April 1920 kam es zu einem blutigen Zwischenfall, als ein Maschinengewehrschütze von der Wache aus in eine Volksmenge feuerte und dabei 9 Menschen tötete und 26 verletzte. Wie viele andere historische Gebäude in Frankfurt brannte die Hauptwache im Frühjahr 1944 nach einem Bombenangriff völlig aus. Der Wiederaufbau, der wie anderswo aufgrund der begrenzten Mittel nach dem Krieg nur in reduzierter Form erfolgte, konnte erst 1954 abgeschlossen werden. 1967 kam die Hauptwache dann noch einmal in Bewegung und das im wahrsten Sinne des Wortes. Im Zuge des Baus der U-Bahn-Station Hauptwache wurde sie vollständig abgebaut und 1968 in leicht veränderter Position wieder aufgebaut. Dies nutzte man nun immerhin zu einer detaillierteren Rekonstruktion inklusive Giebelrelief, sodass die Wache heute nahezu wieder ihr historisches Aussehen hat, wenn sie auch nicht mehr an genau derselben Stelle steht. Letzteres fällt insofern nicht sehr auf, als außer der nur einige Schritte entfernten Katharinenkirche in ihrer unmittelbaren Umgebung praktisch keine historischen Gebäude mehr erhalten sind und die Zeil, Frankfurts Haupteinkaufsstraße, in der sie sich befindet, von modernen Bauten gesäumt wird.

Die Hauptwache um 1918
Die Hauptwache um 1918

Wenn heute jemand im Rhein-Main-Gebiet von der Hauptwache spricht, dann meint er normalerweise nicht das historische Gebäude, sondern die U- und S-Bahnstation, die von ihm ihren Namen erhalten hat. Sechs U-Bahn-Linien und acht S-Bahn-Linien halten hier. Die Straßenbahn, die es an diesem zentralen Verkehrsort noch bis 1986 gab, fährt dagegen heute nicht mehr. Die Station Hauptwache bildet den drittgrößten S-Bahn-Knotenpunkt in Frankfurt; 181000 Fahrgäste am Tag kommen hier durch. Man kann von hier aus nicht nur große Teile der Innenstadt bequem erreichen, sondern vor allem auch in der Zeil einkaufen gehen; ein Kaufhaus ist sogar über einen unterirdischen Eingang direkt vom S-Bahnhof her erreichbar.

Wer zwischen all den Pendlern und Einkaufenden einen Ort der Ruhe sucht, um einen Kaffee oder den ortstypischen Äppler zu trinken, der ist in der Hauptwache – nun wieder dem Gebäude – gut aufgehoben; das Café bietet eine ruhige Oase und ist heute frei von allen gewalttätigen Reminiszenzen der Vergangenheit.



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Bildquellen:

Fotos von Carolin Eberhardt.

Die Hauptwache auf einer Postkarte von 1918 Urheber Anonym, gemeinfrei via Wikimedia Commons


Literatur (Webseitenangaben Stand 27.7.2016):

Eingangszitat aus: Ludwig Börne, Geschichte meiner Gefangenschaft und Beschreibung der herrlichen Wandgemälde, die sich in der Hauptwache zu Frankfurt befinden, in: Nachgelassene Schriften von Ludwig Börne, Zweiter Band, Verlag von Friedrich Bassermann, Mannheim 1844, S. 267 ff., dort: S. 270-271.

Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen II, München, Berlin 2008, S. 272

Institut für Stadtgeschichte (Hrsg.): Rund um die Hauptwache, Ansichten eines Platzes, Frankfurt a.M. 2004, online abrufbar unter http://www.stadtgeschichte-ffm.de/download/hauptwache.pdf

Zum 7.4.1920:

http://lagis-hessen.de/de/subjects/browse/current/22/section/3/year/1920/sn/edb

Zum S-Bahnhof: https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnhof_Frankfurt_(Main)_Hauptwache

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