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Magisches Lesevergnügen bietet Ingrid Annels Jugendroman, der den Leser auf eine Zeitreise ins Mittelalter führt.

 

Frankfurter Paulskirche

Frankfurter Paulskirche

Ralph Zade

Wiege der Deutschen Demokratie

Am 18. März 1944 kurz nach halb zehn Uhr abends begann einer der schlimmsten Bombenangriffe auf Frankfurt. 846 britische Bomber zerstörten innerhalb einer Stunde große Teile der östlichen Innenstadt. Die Paulskirche wurde von mehreren Phosphorbomben getroffen, die das Dach durchschlugen und das hölzerne Dachgebälk in Brand setzten. Da es in den Wasserleitungen einen starken Druckabfall gab, reichte die zur Verfügung stehende Wassermenge zum Löschen nicht aus; das Gebälk stürzte zusammen und fiel in den Innenraum hinab. Das Gebäude brannte fast völlig aus.

Genau 96 Jahre vorher, am 18. März 1848, hatten zwei Rechtsanwälte dem Gemeindevorstand der Paulskirche, die seit ihrer Fertigstellung 1833 evangelische Hauptkirche Frankfurts war, ein Schreiben überreicht, in dem dieser gebeten wurde, die Kirche für ein zu konstituierendes gesamtdeutsches Parlament zur Verfügung zu stellen. Der Bitte wurde wenige Tage später entsprochen. Ausgewählt worden war der elliptische Zentralbau aus rotem Sandstein für diesen Zweck, weil er von der Bauart her das geeignetste Gebäude in Frankfurt dafür war, groß und modern, mit genügend Platz für viele Abgeordnete. Am selben 18. März fanden in Berlin die Märzkämpfe statt; der preußische König Friedrich Wilhelm IV. war genötigt, vor den Märzgefallenen den Hut zu ziehen. Ab Ende März tagte in der Paulskirche das die Wahlen zur Nationalversammlung vorbereitende Vorparlament, ab 18. Mai dann die Nationalversammlung selbst, wegen des Tagungsorts auch Paulskirchenparlament genannt.

„Herberge deutscher Hoffnungen und Schaubühne deutscher Tragik und Unvollkommenheit“ nannte der Reichstagsabgeordnete und spätere Bundespräsident Theodor Heuss die Paulskirche 1929. Hoffnung, weil die Paulskirche ein Symbol deutscher Demokratie war und ist, das wichtigste neben dem Hambacher Schloss. Und Tragik, weil der erste aus eigener Kraft gemachte Demokratieversuch in Deutschland auf klägliche Weise scheiterte, die autoritäre Tradition sich durchsetzte. Wäre, wenn die Demokratie schon 1848 gesiegt hätte, der 30. Januar 1933 und damit letztlich auch der 18. März 1944 verhindert worden?

Am 29. Juni 1848 hatte man noch das erste parlamentarisch gewählte deutsche Staatsoberhaupt bestimmt: den Erzherzog Johann von Österreich als Reichsverweser. Am 28. März 1849 war ein noch größerer Höhepunkt gefolgt: die Verabschiedung einer deutschen Reichsverfassung, die bis heute Paulskirchenverfassung heißt. Doch dann lehnte der preußische König die ihm angebotene deutsche Kaiserkrone ab, weil er kein konstitutioneller Monarch sein wollte, sondern einer, der von Gott eingesetzt war, oder glaubte, es zu sein. Die Revolution verlor rapide an Boden. Am 31. Mai 1849 beschlossen die noch vorhandenen Abgeordneten, die Nationalversammlung nach Stuttgart zu verlegen, um mehr Distanz zu Preußen zu schaffen. Die schwarz-rot-goldene Innendekoration der Kirche verschwand damit wieder. Und auch in Stuttgart ging es bald nicht mehr weiter, die Revolution war am Ende.

1947 wurde die Kirche wiederaufgebaut, nicht in der exakten Gestalt, die der im 19. Jh. moderne Bau, der nach einer wegen zeitweisen Geldmangels Jahrzehnte dauernden Bauphase 1833 an die Stelle der 1786/87 als baufällig abgerissenen Barfüßerkirche getreten war, ursprünglich gehabt hatte, sondern als „erinnernde Rekonstruktion“ wie der Architekt Rudolf Schwarz sagte. Dabei wurde auf Schlichtheit Wert gelegt, die aber der Raumwirkung keinen Abbruch tut, und es wurden auch Spuren der Zerstörung belassen, zum sichtbaren Gedenken. Der Wiederaufbau war – anders als die Rekonstruktion anderer Bauten in Frankfurt – weitgehend unumstritten und der Stellenwert als Gedenkort der deutschen Demokratie ebenso. Es war damals auch noch nicht entschieden, dass die westdeutsche Hauptstadt Bonn werden würde und manche glaubten noch an ein Parlament in Frankfurt, das in der Paulskirche hätte tagen können. Unter einer schwarz-rot-goldenen Flagge, wie damals.

Luftbild der Altstadt vor ihrer Zerstörung (1942)
Luftbild der Altstadt vor ihrer Zerstörung (1942)

Eine Kirche ist die Paulskirche seit 1947 nicht mehr gewesen. Sie ist heute ein Gedenkort deutscher Demokratie. 1955 ging von einem Kongress, der in ihr stattfand, noch einmal eine demokratische Bewegung aus, die Paulskirchenbewegung, die gegen die Wiederbewaffnung eintrat, und nur von kurzer Dauer war. Eine Renovierung Anfang der 90er Jahre brachte eine teilweise Rekonstruktion von Historischem, aber auch das nach dem Krieg Geschaffene empfand man schon als historisch und beließ es deshalb teilweise, so das Flachdach. Vor allem aber schuf der Berliner Maler Johannes Grützke, der einen entsprechenden Wettbewerb gewonnen hatte, ein monumentales Wandgemälde, das in der Wandelhalle der Kirche eine elliptische Säule umgibt: „Der Zug der Volksvertreter“. Die Volksvertreter sind dabei in Schwarz gekleidet, fast zeitlos – von den historischen Abgeordneten ist nur Robert Blum zu erkennen – und die Zeitlosigkeit dürfte auch gewollt sein, ebenso wie die karikatureske Note der fleischigen Gesichter. Genutzt wird die Kirche heute – von der Funktion als Ausstellungsraum abgesehen – vor allem für Preisverleihungen: der Friedenspreis des deutschen Buchhandels, der Goethe-Preis und der Adorno-Preis werden hier verliehen. Und es gibt Feierstunden, so zum Volkstrauertag und zum 20. Juli.

Parlament war die Paulskirche nur für ein Jahr, doch das hat ihr Bild bis heute geprägt. Und das Bild wieder überlagert, das sie 1944 bis 1947 bot: ein ausgebranntes nacktes Oval als Symbol für die Zerstörung Deutschlands durch die, die das zerstören wollten, was 1848 in ihr einen Anfang genommen hatte – einen kleinen zwar, einen schwer erkämpften, aber doch einen Anfang.



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Bildquellen:

Fotos von Carolin Eberhardt, 2021.

Frankfurt am Main: Luftaufnahme von Nordosten; Dom (links); im Hintergrund: Paulskirche Urheber: Bildarchiv Foto Marburg & Kieler Luftbildarchiv via Wikimedia Commons, gemeinfrei


Literatur:

Die Frankfurter Paulskirche – Herberge vergeblicher Hoffnungen. In: Peter Reichel: Schwarz-Rot-Gold: kleine Geschichte deutscher Nationalsymbole nach 1945, C.H. Beck, München 2005, S. 111 ff.

http://www.galerie-kk.de/k%C3%BCnstler/gr%C3%BCtzke-johannes/frankfurter-paulskirche/ (dort Fotos des Wandgemäldes von J. Grützke)

https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Frankfurt_am_Main

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