Wenn man sich heute im Bereich der Siedlung Römerstadt in Frankfurt-Heddernheim und dem angrenzenden Teil der Nordweststadt zwischen Heddernheim und Praunheim spazierend bewegt und keine nähere Ortskenntnis hat, lässt erst einmal überhaupt nichts vermuten, dass sich hier einmal eine römische Siedlung befunden haben könnte. Die Siedlung Römerstadt, 1927-29 unter der Leitung von Ernst May erbaut, gilt heute als hervorragendes Beispiel des modernen Bauens in Frankfurt und ist insofern sehenswert; die in den 60er Jahren zur Linderung in Frankfurt schon damals vorhandener Wohnungsnot erbaute Nordweststadt mit einer Mischbebauung bis hin zu Hochhäusern wird zwar für städtebaulich gelungener erachtet, als zeitgleich in anderen Städten geschaffene vergleichbare Wohnquartiere, ist aber auch nicht unbedingt ein Viertel, das man als Tourist normalerweise aufsuchen würde.
Erste Hinweise geben Namen: die Siedlung Römerstadt hieß so, weil sich hier früher eine solche befand, und Straßennamen wie Titussstraße, Antoninusstraße, Konstantinstraße oder Augustusstraße weisen auf römische Bezüge hin. Wer noch genauer hinschaut entdeckt zwölf Informationstafeln, die Aussagen zu dem machen, was sich hier einst befand: der Römerstadt Nida. Wenn man anhand dieser Tafeln den archäologischen Rundweg abgehen will, der durch das Archäologische Museum gestaltet wurde, so fährt man am besten mit der U-Bahn-Linie 1 in Richtung Ginnheim und steigt an der Station „Römerstadt“ aus – wenn man dann den Ausgang „In der Römerstadt“ nimmt, befindet man sich an einem zentralen Ort innerhalb der antiken Stadt.
Da der Bau der Siedlung Römerstadt und insbesondere auch der der Nordweststadt auf die Notwendigkeiten archäologischer Forschung so gut wie keine Rücksicht genommen hat – dieser noch nicht einmal genügend Zeit für die Sichtung des archäologischen Bestandes und die Rettung des Wertvollsten ließ – ist das, was an Originalem heute noch vor Ort zu sehen ist, nicht umfangreich und überdies unspektakulär: einige Töpferöfen und Fundamente von Häusern. Noch vorhandene z. T. meterhohe Mauerfragmente und viele Dinge, von denen man nie mehr etwas wissen wird, wurden bei der Bebauung vernichtet. Dass auf dem sogenannten Heidenfeld Wertvolles zu finden war, war dabei klar – im 19. Jahrhundert wurde Nida teils als „teutsches Pompeji“ bezeichnet – aber alle Proteste von Archäologen und interessierten Bürgern blieben erfolglos. Wer Originalfunde – solche aus der Zeit vor der Bebauung (Grabungen fanden seit 1823 statt) und solche von Hobbyarchäologen, einer ansonsten häufig geschmähten Gruppe, die bei der Rettung dieses Kulturguts eine wichtige Rolle spielte – sehen will, der muss sich ins Archäologische Museum Frankfurt begeben, in dem die Funde aus Nida einen wichtigen Teil der Sammlungen ausmachen. Objekte aus der Frühzeit der Grabungen finden sich außerdem im Museum Wiesbaden, da das Terrain zu dieser Zeit zum Herzogtum Nassau gehörte.
In der Regierungszeit des Kaisers Vespasian wurden um 75 n. Chr. an der Kreuzung mehrerer wichtiger Straßen in der Nähe das strategisch bedeutsamen Flusses Nidda Militärkastelle errichtet, die teils nur temporär existierten; das wichtigste hiervon war ein heute als „Kastell A“ bezeichnetes Steinkastell, bei dem sich dann eine Siedlung bildete. In dieser wurden nach und nach verschiedene Bauten oder Anlagen errichtet, die sich so oder ähnlich in vielen anderen römischen Städten fanden: ein Forum, ein Theater, Thermen und Tempel. Zu Beginn des 3. Jahrhunderts wurde die nahezu rechteckige, nach rationalen Gesichtspunkten konstruierte Siedlung mit einer Steinmauer umgeben. Während der Regierungszeit Trajans wurde Nida Hauptort der Civitas Taunensium, eines Verwaltungsbezirks innerhalb der Provinz Germania superior, sodass sich eine Verschiebung seiner Bedeutung vom Militärzentrum hin zum Verwaltungszentrum ergab; zudem nahm die wirtschaftliche Bedeutung zu. Die Aktivität von Handwerkern und Händlern lässt sich teilweise aufgrund von Funden nachvollziehen. Das 2. Jahrhundert war weitgehend friedlich und wurde so zu einer Blütezeit der Stadt; überdurchschnittlich viele Fundstücke stammen aus dieser Zeit. Wie viele Einwohner Nida hatte, ist schwer zu sagen – theoretisch hätten es aufgrund der bebauten Fläche um die 10.000 sein können, soweit dazu überhaupt Aussagen gemacht werden, wird aber meist von einer geringeren Zahl ausgegangen.
Im 3. Jahrhundert kam es dann verstärkt zu kriegerischen Auseinandersetzungen, die Stadt wurde immer wieder von den Alamannen, einer westgermanischen Volksgruppe, bestürmt. Als die Römer beschlossen, den Limes aufzugeben und sich hinter den Rhein als besser zu verteidigende Linie zurückzuziehen, bedeutete das auch das Ende der Römerstadt Nida, das auf etwa 260 n. Chr. zu datieren ist. Die Datierung ergibt sich hier u. a. daraus, dass Münzen mit dem Kaiser Gallienus, der zu dieser Zeit regierte, die letzten römischen sind, die gefunden wurden.
Die Mauern von Nida waren noch im 15. Jahrhundert gut zu sehen und die Ruinen wurden als Steinbruch für Bauten in umliegenden Orten genutzt. Im 19. Jahrhundert, in dem man zur Kenntnis nahm, dass hier einmal eine Stadt gewesen war und ein lebhaftes Interesse daran entwickelte, war auf dem „Heidenfeld“ von einer Bebauung vordergründig nichts mehr zu sehen.
Die Beschäftigung mit Nida lohnt sich – wer im Archäologischen Museum Ausstellungsstücke wie das Malergrab, in dem dem Handwerker seine Werkzeuge und Farbtöpfe mitgegeben wurden, oder das rekonstruierte Kultbild aus dem Mithräum von Nida gesehen hat, der wird mehr wissen wollen. Auch wenn eine brachiale Baupolitik viel zerstört hat – Frankfurt ist eine bedeutende Fundstelle für römische Altertümer und wer genauer hinschaut, findet Dinge von höchstem Interesse.
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Bildquellen:
Vorschaubild: Leugenstein der Civitas Taunensium aus Friedberg im Wetterau-Museum. Der Stein gibt die Entfernung nach Nida mit 10 Leugen an; 2008, Urheber: Haselburg-müller via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.
Restaurierter Töpferofen an der Böschung der Rosa-Luxemburg-Straße, Ofen mit quadratischem Grundriss, 2009, Urheber: Haselburg-müller via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.
Das Malergrab aus Nida-Heddernheim, Grabinventar eines römischen Malers mit 29 Farbtöpfen im Archäologischen Museum Frankfurt am Main Haselburg-müller via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.
Römische Türschwelle, 2007, Urheber:
Textquellen:
Huld-Zetsche, Ingeborg : NIDA – eine römische Stadt in Frankfurt am Main, Frankfurt, 1994.
Seite des Archäologischen Museums zum Archäologischen Rundweg: abgerufen von >https://www.archaeologisches-museum-frankfurt.de/pdf/archaeologischer-rundweg.pdf< am 02.06.2019.
Seite des Archäologischen Forums Nida e. V. zu Nida: abgerufen von >https://www.forum-nida.de/nida/?doing_wp_cron=1559468984.1213610172271728515625< am 02.06.2019.
Webseite zum römischen Frankfurt: abgerufen von >http://www.taunus-wetterau-limes.de/index2.htm?frankfu3.htm< am 02.06.2019.
Detaillierte Darstellung zum römischen Frankfurt: abgerufen von >http://nida-taunensium.de/wp-content/uploads/2015/05/dasRoemischeFrankfurt.pdf< am 02.06.2019.
Seite zum 1928 ausgegrabenen und heute zerstörten Theater: abgerufen von >http://www.theatrum.de/174.html< am 02.06.2019.
Seite zur verkehrstechnischen Lage Nidas: abgerufen von >http://www.altwege.de/roemer-und-kelten/vicus-nida.html< am 02.06.2019.