Als die schwedische Schriftstellerin Sophie von Knorring (geborene Sofia Margareta Zelow) 1846 die deutschen Landen bereiste, kam sie im September 1846 mit ihrer kleinen Reisegesellschaft auch nach Frankfurt an den Main. In Briefen an ihre Schwester hat sie ihre Reiseerlebnisse aufgezeichnet und später unter dem Titel "Bref till hemmet under en sommarresa 1846" (Briefe nach Hause während einer Sommerreise) veröffentlicht.
Damals war Frankfurt als freie Reichsstadt bereits dem deutschen Zollverein beigetreten und mit dem Ausbau der Eisenbahnstrecken zu einem Verkehrsknotenpunkt geworden. Dass in der Finanz- und Handelsmetropole zwei Jahre darauf die erste deutsche Nationalversammlung tagen würde, daran war zu Zeiten von Sophie von Knorrings Besuch noch nicht zu denken. 1846 war die Paulskirche einfach ein neu errichtetes, lutherisches Gotteshaus.
Die Stadt aber war bekannt als Kinderstube Johann W. Goethes und auch bemüht, das Gedenken an den berühmten Sohn aufrecht zu halten. Schon zu Lebzeiten des Dichters war der „Verein zur Errichtung eines Denkmals für Göthe“ bemüht, Gelder für eine Art Goethe-Mausoleum zusammenzubringen. Dass man ihn zum deutschen Nationaldichter verklären und ihn als Symbol für die Deutsche Einigung machen wollte, war Goethe nicht nur peinlich, sondern auch unlieb. Dass nach seinem Tod letztendlich doch ein großes Denkmal geschaffen wurde, konnte er nicht verhindern. Bildhauer Ludwig Schwanthaler erschuf ihn in voller Größe erhaben auf einem Sockel. Die Bronzestatue wurde am Goetheplatz aufgestellt und am 22. Oktober 1844 feierlich eingeweiht.
Zwei Jahre später steht nun Sophia von Knorring vor dem Denkmal. Und während sie sich die schwedische Dame der Literatur vom Studierzimmer Goethes nur wenig begeistert zeigte, so ist von der Statue doch schwer beeindruckt: "so kolossal, so erhöht, so herrlich". Welcher Besucher würde heute noch diese Gefühle empfinden?
Aber lassen wir sie selbst zu Wort kommen:
17. Brief: Frankfurt, 10. September
"(...) Endlich erschienen Frankfurts Türme und bei ihrem Anblick kamen mir Goethe, Frau Rat, Bettine, Günderode und andere in den Sinn.
Als Erstes schauten wir uns Goethes Bronzestatue an, modelliert von Schwanthaler1 und gegossen von Stiglmayer2. Er steht dort so kolossal, so erhöht, so herrlich, aber – in seinem Blick sieht man die Eigenliebe, die bei Goethe so ausgeprägt war. Er hat nicht Schillers bescheidene Haltung, nein, ganz und gar nicht! Sein Bronzebildnis scheint zu sagen: „Ich war ein großer Geist und niemand wusste das besser als ich.“
Wir saßen lange da und schaute zu dieser Größe empor, die genau wie alle anderen am Ende doch durch die Pforten des Grabes entschwindet, die man nur von außen sieht. Aber nicht alle großen Geister wurden so verehrt wie Goethe und ich glaube, es gelang ihm, sich durch den Zauber seiner Überlegenheit selbst zu erschaffen. Auf dem Sockel stehen Zitate aus seinen bekanntesten Stücken. Lustig war, dass der Kutscher alles wusste, alles erklären konnte und den Wagen genau an der Stelle halten ließ, von der aus man die Statue am besten sehen konnte. (...)
Vor dem „Römer“ befindet sich ein Platz namens „Römerberg“, wo alle Kaiserkrönungen gefeiert wurden, die Goethe so anschaulich beschreibt. (...)
Dann nahmen wir den kürzesten Weg zu Goethes Elternhaus, in dem er geboren und aufgewachsen war. Über dem Eingang hängt eine Marmortafel, die den Ortsfremden davon in Kenntnis setzt. Es ist beachtlich, dass nicht nur Goethe, sondern auch seine Mutter, die berühmte Frau Rat, in der Erinnerung weiterlebt, auch bei den einfachsten Leuten hier in Frankfurt. Wohin man auch kommt, wird von ihr gesprochen. Sie muss ein lustiges Prachtexemplar einer alten Frau gewesen sein, wie es sie in einer freien Reichsstadt sicher öfter gibt.
Im vierten Stock befindet sich das Zimmer, das Goethe immer sein Studierzimmer nannte und in dem er seine ersten Werke schrieb. In dem Zimmer wurde alles so gelassen, wie es war, es wird für nichts genutzt und Touristen gezeigt – gegen ein kleines Trinkgeld für ein … barfüßiges Mädchen mit einem hässlichen Tintenfass und einer noch hässlicheren Feder in der Hand. Du kannst Dir sicher denken, dass ich dieses Zimmer nicht betreten wollte, aber ich musste doch hinein und sehen, wie leer und ungemütlich es war, um eine mittelmäßige Büste des großen Dahingegangenen und ein paar schlechte kleine Kupferstiche zu betrachten, die dort an den Wänden hingen, auf die er jedoch ein paar Verse geschrieben hatte. Zuletzt musste ich mit der Feder des Mädchens meinen Namen in ein großes Buch eintragen, das auf dem einstigen Schreibtisch des Skalden lag.
(...)
(1) Ludwig Michael Schwanthaler, Bildhauer (1802–1848)
(2) Johann Baptist Stiglmaier, Direktor der Königlichen Erzgießerei in München (1791–1844)
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Original aus: "Bref till hemmet under en sommarresa 1846" von Sofie von Knorring.
Übersetzung und Anmerkungen: Nadine Erler
Einleitungstext: Tina Romstedt
Bild: gemeinfrei
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Lese-Tipp:
In einem anderen Brief bereichtet S. von Knorring über ihre Eisenbahnfahrt.
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